"Der Barbier von Barmen" in Wuppertal

Nein, Mama, bitte nicht die Carmen!

Gerónimo Giménez, Manuel Nieto: Der Barbier von Barmen

Theater:Wuppertaler Bühnen, Premiere:27.01.2013Regie:Björn ReinkeMusikalische Leitung:Boris Brinkmann

Mit Arien aus „Tosca“, „Carmen“ und dem Titel gebenden „Barbier von Sevilla“ haben die Wuppertaler Bühnen die schmale Zarzuela von Geronimo Gimenez und Manuel Nieto zu einem abendfüllenden Entertainmentstück aufgepolstert, einer Backstage-Comedy im gelegentlich etwas holprigen Boulevardstil: Junges Gesangstalent löst alternden Star ab und bekommt den Bariton seines Herzens trotz geifernder Ex-Diva, geltungsgeiler Mutter und kunstfeindlichen Vaters. Mit beiden Händen greifen Björn Reinke, seine Dramaturgin und Co-Bearbeiterin Ulrike Olbrich ins Arsenal der Typenkomödie und landen manchen Treffer. Die aus dem Sinfonieorchester Wuppertal zusammengestellte Operettenband unter Boris Brinkmann swingt mit viel Spaß an der Freud. Elena Fink spielt die Hauptrolle charmant, erfreut und verblüfft mit vielen so halsbrecherischen wie angenehm gerundeten Koloraturen. Dora Brockmann liefert eine herrlich monströse alte Schachtel ab. Ihr hemmungslos heruntergedonnertes „Carmen“ – Solo, untermalt von wunderbar linkischen Putzfrauenstatistentänzchen, ist der wildromantische Höhepunkt der Aufführung – und zeigt, wo es hingehen könnte.

Denn leider erweist sich dieser „Barbier von Barmen“ als charmanter Irrtum. Die Spaßraketen zünden letztlich zu selten und zu flau. Bei der Ausstattung von Monika Frenz beginnen die Probleme. Die liebevoll arrangierte Backstage-Wildnis ist einfach zu nett. Alles Requisiten, keine Spur von Chaos oder Verfall; nirgends doppelter Boden, überall Dekoration. Björn Reinke disponiert die Vorgänge souverän im Einheitstempo mit nicht zu hoher Gagdichte. Die Einbindung von Statisten verwendet er zur gelassenen, hoffentlich nicht eigenparodistischen Auspinselung einer Provinztheateridylle, angeführt vom sonoren, nur akustisch präsenten Inspizientenorgan. Alles ordentlich und harmlos – wie die Bearbeitung. Da wird nur topographisch auf bergische Verhältnisse umgestellt. Bei „Ronsdorf“ oder „Vohwinkel“ wird dann auch gejohlt. Die existenziell schwierige Situation, in der sich das Theater befindet, und auf die man in diesem Rahmen schön ohne erhobenen Zeigefinger hätte verweisen können, wird aber nicht beim Wort genommen. Dafür bekommen die Sänger zusätzlich eine große Oper zu singen – wie Michaela Mehring mit ihrem sehr schönen „Vissi d’arte“ aus „Tosca“ mit Szenenapplaus, das aber im Stück leider keinen Ort hat und die Aufführung nur aufhält. Dass sie singen kann, und zwar hervorragend, zeigt doch auch ihre Behandlung der Zarzuela-Musik!

Vor zwei Jahren gelang den Wuppertaler Bühnen mit der Barockopernbearbeitung „Der Drache von Dönberg“ eine wunderbar leichtfüßige Opernparodie, die jenen Schuss abseitiger Verrücktheit und gesellschaftlichen Zielwassers im himmlischen Überfluss besaß, der dem „Barbier von Barmen“ jetzt fehlt. Trotz herrlichen Musizierens und gewaltigen Schlussjubels – ein wenig schade ist das!