Das Ensemble von Christoph Marhalers „Stimulatore Cordiaco" am Theater Basel im Bühnenbild von Duri Bischoff.

Muss nicht sein

Christoph Marthaler: Lo Stimulatore Cordiaco

Theater:Theater Basel, Premiere:25.11.2011 (UA)Autor(in) der Vorlage:Giuseppe VerdiRegie:Christoph MarthalerMusikalische Leitung:Giuliano Betta, Bendix Dethleffsen

Sprachlos waren Christoph Marthalers Schauspiel-Projekte schon immer ganz gern, das Ritual und die Musik ergänzten und ersetzten darin recht lange schon die Rolle der Verständigung – Oper hingegen war bislang auch für ihn ohne die Musik, wie sie geschrieben steht, kaum vorstellbar: von Janácek und der „Sache Makropoulos“ neulich in Salzburg rückwärts betrachtet bis zu den ersten Opernarbeiten wie etwa „Luisa Millerin“ in Frankfurt. Verdi stand für ihn am Beginn im neuen Fach – jetzt hat er für das Theater Basel (also immerhin das _Opernhaus des Jahres_) eine Art Verdi-Struktur entworfen; in der der Musik allerdings bestenfalls noch die Rolle des Herzschrittmachers zukommt, des „Stimolatore Cardiaco“. Leben, überleben müsste die Kunst schon von alleine können – es sieht aber eher nicht so aus.

Dabei ist der ganze Betrieb beschäftigt: die Solisten, der Chor, das Orchester. Sogar zwei Dirigenten hat der Abend – mit langen Rauschebärten behängt, absolvieren Giuliano Betta und Bendix Dethleffsen das Doppel-Dirigat der Ouvertüre … aber was heißt schon Ouvertüre: Eine ganz besonders schmissige Verdi-Sequenz geben sie ein in den Verdi-Prozessor und stellen die Maschine auf etwa 30 Wiederholungen ein. Da ist dann eins schon klar: „Oper“ wird das heute abend nicht. Im Folgenden wird ein künstlicher Schwertfisch seziert (in dem ganze Gummistiefel und ein Telefon verborgen sind, unter anderem …), der Basler Opernchor trabt erst stumm, später Verdi singend auf und ab auf Duri Bischoffs Bühnenbild-Treppen, die viel von M.C. Escher haben – denn nie führt eine in die nächst höhere Etage. Weshalb später auch zwei kräftige Kerle viel Mühe haben mit einem Klavier, das sie treppauf-treppab wuchten; wer weiß wohin. Bischoffs Raum könnte ein Basler Krankenhaus sein; aber wirkliches Indiz dafür sind nur die selbstöffnenden Milchglasscheiben mit gelben Warnstreifen dran – Achtung: Intensivstation?

Aber selbst diese Zuordnung wäre zu präzise – immerhin wird ja von nun an hinauf und hinab geflirtet im Treppengeflecht; Paare finden und verlieren einander, ein Alter kommt ein paar Mal mit der Gießkanne herein und wässert tote Steine. Gegen Ende trägt er einen kleinen Brocken hinaus, als hätten die Steine Junge gekriegt. Rätsel über Rätsel, fast ohne Motive, fast ganz ohne Kern, ohne Herz. Auch die Verdi-Schnipsel schrumpfen schon; dann zieht die Bläser-Truppe aus dem Graben in den Bühnen-Hintergrund und stimmt, unsichtbar, die große Vereinigungsmusik an – aber im Ensemble traut sich kaum noch jemand wirklich zu singen. Immer nur ein paar verschämte Noten – bis (die natürlich wie immer herrliche) Tora Augestad zum letzten „Ave Maria“ anhebt. Dann verstummt auch das Orchester; erst im Solo für Bass, dann mit den zwei Dirigenten am Spinett – mit einer Handvoll letzter Noten.

Wie weltenweit ist dieser Abend entfernt vom himmlisch-melancholischen Zauber in Marthalers Musical-Paraphrase „Meine faire Dame“ am selben Theater im vorigen Jahr – besonders ist der Abend mit Herzschrittmacher nur im unbedingten Willen, in keiner Hinsicht besonders zu sein: nicht besonders heiter, nicht besonders traurig, nicht besonders melancholisch. Mit größtem Aufwand und auf großer Bühne tut er so, als sei er nicht vorhanden – als müsse er einfach nicht sein.