Szene aus "Mary, Queen of Scots"

In die dunklen Abgründe

Thea Musgrave: Mary, Queen of Scots

Theater:Oper Leipzig, Premiere:16.12.2023Vorlage:MorayAutor(in) der Vorlage:Amalia ElgueraRegie:Ilaria LanzinoMusikalische Leitung:Matthias Foremny

Die Oper Leipzig bringt die Oper „Mary, Queen of Scots“ von Thea Musgraves zurück auf die Bühne. Die ressourcenschonende Ausstattung schafft einen wunderbaren Spielraum für großartiges Theater. Das Ensemble überzeugt mit Stimmkraft und einer gnadenlosen Tragödie.

Ein wichtiges Ziel der Oper Leipzig in der Intendanz von Tobias Wolff sind Klimaneutralität und Ressourcenschonung. Das betrifft auch den schottischen Thron für Thea Musgraves gut gebaute Oper „Mary, Queen of Scots“. Und es funktioniert: Trotz der goldgerahmten Lehnen ist dieser Schleudersitz für Potentat:innen kein Prunkstück. Gerade deshalb wird er zu einem an den verhängnisvollen Kreislauf der Geschichte und die Vergänglichkeit aller Dinge gemahnenden Zeichen.

Bühnenbildner Dirk Becker beweist aber auch, was manchmal vergessen wird: Das beste Theater entsteht immer durch die Intensität der Menschen. Die war bei diesem Opern-Recycling außerordentlich hoch. Nach der Uraufführung 1977 durch die Scottish Opera in Edinburgh war „Mary, Queen of Scots“ etwa 15 Jahre lang so etwas wie ein Erfolgsstück, unter anderem am Theater Bielefeld. Nun wurde das Werk von der Oper Leipzig wiederentdeckt. Die inzwischen 95-jährige Komponistin schreibt gerade an ihrem nächsten Bühnenwerk „Orlando“ und reiste zur Premiere nicht aus New York an.

Personen in Grün knien um eine weitere Person in Grün. Im Halbdunkel im Hintergrund bewegen mehrere dunkle Gestalten Objekte übr eine Tribüne.

Die Ausstattung von Dirk Becker und Annette Braun setzt auf Schlichtheit und Sparsamkeit – mit Erfolg. Foto: Tom Schulze

 

Theater voller Brutalität und nur wenig Liebe

Großen jubelnden Erfolg erntete die Premiere. „Mary“ setzt die Oper Leipzig mit den nur kurz gespielten Einaktern „Eight Songs for a mad King“ und „Miss Donnithorne’s Maggot“ von Peter Maxwell Davies seit Jahren wieder mehr Augenmerk auf Werke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Mehrere operative Glückskonstellationen trafen aufeinander: Der seit Jahren am Haus bekannte Dirigent Matthias Foremny und das Gewandhausorchester fanden in der überwiegend tonalen Partitur eine buntschillernde Aufgabe. Regisseurin Ilaria Lanzino zeigte nach ihrer queeren „Luc(i)a di Lammermoor“ an der Oper Nürnberg noch drastischer die Druckmechanismen auf eine heterosexuelle Frau. Kostümbildner Annette Brauns bewusst schwarz konturierte und weiß fließende Stoffe machen den Deformierungsprozesse einer Regentin von zart zu hart noch sinnfälliger. Dirk Beckers klimaneutrales Bühnenbild mit hölzernen Tischen auf den hochgefahrenen Ebenen erwies sich für die Szenenfolge nach dem Schauspiel „Moray“ der peruanischen Autorin Amalia Elguera als ideal. Das Sujet mit der Wucht einer Elisabethanischen Tragödie braucht Spiel- und Expansionsraum für Brutalitäten-Inflationen und nur selten liebevolle Erotik.

Eine Person in schwarzer Kleidung und einer Art Rüstung um Lenden und unter den Brüsten schleudert zornig weiße Schnipsel um sich.

Nicole Chevalier überzeugt stimmlich in der Titelpartie an der Oper Leipzig. Foto: Tom Schulze

 

Oper Leipzig überzeugt mit starken Stimmen

Schließlich holte man mit Nicole Chevalier eine Spezialistin für lyrische Koloraturpartien der Extremitäten-Extraklasse. Die Partie beginnt relativ harmlos und kulminiert gegen Ende in schriller Expression aus Verzweiflung, Frustration und Resignation. Einer der Höhepunkte sind die handgreiflichen Macht-Streitigkeiten der hochschwangeren Mary mit ihrem Halbbruder James, dessen in schwierige Tenorlagen hochtreibenden Bariton-Part Franz-Xaver Schlecht hervorragend gestaltet.

Insgesamt hat Chevalier für dieses Gruppenbild mit Monarchin-Dame, die eine gute sein will, hervorragende Mitspieler: Rupert Charlesworth (Ehemann Darnley), Sejong Chang (Sänger Riccio), Guido Jentjens (Gordon), Randall Jakobsh (Cardinal Beaton), Richard Morrison (Morton) und Dan Karlström (Earl of Ruthven) sind Stimmen und Figuren im großen wie dunklen Machttheater, die das wenige von Mary und ihrer Sphäre strahlende Licht gnadenlos aus- und aufsaugen. Musgrave hat das in ihrer Partitur mit einem Frauenquartett gegen die immer in Einzelstimmen redenden Männer polarisiert (Augusta Kling, Leah Weil, Lena Herrmann, Katharina von Hassel).

Weil Sven Hjörleifsson als Mary vergewaltigender Bothwell kurzfristig ausfiel, sang Eberhard Francesco Lorenz von der Seite und sprang die Regisseurin selbst szenisch ein. Sie agierte auch vor und nach der Vergewaltigung mit genau der Härte und Intensität, die sie allen Ensemblemitgliedern abnötigte. Sogar die wenigen idyllischen Momenten, aus denen weitere Tragödienblüten zu einem machiavellistischen Garten der Qualen aufsprießen, erhalten durch Lanzino einen gnadenlosen Rand. Lanzino zeigt in ihrer fast jede schöne Geste verweigernden Personenführung, dass die höfischen Disziplinierungsmaßnahmen Mann und Frau gleichermaßen betreffen. Dem von Thomas Eitler-de Lint brillant einstudierten Chor kommt in diesem sich mit harter Folgerichtigkeit vollziehenden Niedergang eine wichtige wie bravourös bewältigte Aufgabe zu.