Foto: Szene aus „Play Auerbach" mit Samuel Finzi © Julian Baumann
Text:Anne Fritsch, am 5. Dezember 2025
Avishai Milstein hat für die Münchner Kammerspiele ein Stück über den jüdischen Unternehmer Philipp Auerbach geschrieben, der nach dem Krieg zum Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in Bayern ernannt wurde. Sandra Strunz hat „Play Auerbach!“ als glitzernd-böse Erinnerungsrevue inszeniert, die das Scheitern vieler guter Absichten thematisiert.
Es ist das Jahr 2045. Eine Laienspielgruppe probt eine Revue zur 100-Jahr-Feier der „Befreiung der Konzentrationslager und der Rückkehr jüdischen Lebens nach Deutschland“. In Deutschland leben nur ein paar Hundert Jüd:innen. Und diese verhalten sich unauffällig, sind unsichtbar im Stadtbild, wenn man so will. Auf der Bühne der Münchner Kammerspiele wird seit 15 Jahren kein Theater mehr gespielt, Subventionen für Kunst und Kultur gehören der Vergangenheit an.
Avishai Milstein ist Autor, Regisseur und Chefdramaturg am Beit Lessin Theater in Tel Aviv, in München hat er Theaterwissenschaft studiert. Für die Münchner Kammerspiele hat er nun ein Stück über den jüdischen Unternehmer Philipp Auerbach geschrieben, der den Holocaust überlebte und nach dem Krieg zum Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in Bayern ernannt wurde. Auerbach, der nach dem Krieg der vielleicht prominenteste Jude in Deutschland war, setzte sich für die Belange der Überlebenden des Holocaust ein und wurde wegen geringfügiger Vergehen von ehemaligen NSDAP-Richtern verurteilt. In der Nacht nach der Urteilsverkündung nahm er sich das Leben.
Glitzernde Erinnerungskultur
„Play Auerbach!“ heißt das Stück, das nun im Schauspielhaus der Kammerspiele in der Inszenierung von Sandra Strunz uraufgeführt wurde, im Untertitel: „Eine Münchner Erinnerungsrevue“. Sie ist Teil des umfassenden Programmschwerpunkts „Wohin jetzt?“, in dem sich das Theater mit jüdischem Leben in Deutschland nach 1945 beschäftigt. Milstein blickt nun in eine Zukunft, in der Auerbachs Wunsch, jüdisches Leben in Deutschland wieder zu beleben und zu normalisieren, gescheitert ist. Und er blickt von dort aus zurück in die Vergangenheit der Nachkriegszeit, in der in Deutschland und München alle aufeinander trafen: Gerade-noch-Nazis, Rückkehrer:innen aus dem Exil, Überlebende der Konzentrationslager.
Der Vorhang hebt sich, und eine Truppe mit weiß geschminkten Gesichtern tänzelt in Glitzerfädenkostümen über die Bühne (Bühne: Annette Kurz, Kostüme: Sabine Kohlstedt). „Uns war es gut zumute“, singen sie und lassen die 1920er Jahre aufscheinen. „Und dann kam Hitler.“ Dann tritt Wiebke Puls nach vorne, sie ist als Antisemitismusbeauftragte Beate sowohl Mitspielerin als auch Regisseurin dieser Revue. Erinnerungskultur ist ihre „Mission“. Wenn sie gerade nicht mitsingt und -tanzt, setzt sie sich einen paillettenbesetzten „Regiehut“ auf, damit alles seine Ordnung hat und niemand aus der Rolle fällt, auch nicht sie selbst.
Unter anderem treten auf: sie selbst als Hannah Arendt, Annika Neugart als Therese Giehse, Johanna Eiworth als Otto Falckenberg und als Justizminister Müller sowie André Benndorff, Edmund Telgenkämper und Martin Weigel in wechselnden Rollen. Sie alle spielen Laienspieler:innen, wähnen sich als Expert:innen der Erinnerungskultur, wollen sich auseinandersetzen und alles richtig machen. Aber alles im geschützten Rahmen der Kunst bitte. Dazu kommen Rainer Süßmilch und Philipp Haagen als Live-Musiker, die gleichzeitig Therese Giehses Verbündete Erika und Klaus Mann verkörpern.
Die Realität: eine Provokation
Als plötzlich Samuel Finzi als Profi-Schauspieler Rafael Kuhn auf die Bühne rumpelt, kommt nicht nur Beate samt ihrem geordneten Konzept ins Straucheln. Kuhn will den Auerbach spielen und ist obendrein ein echter Jude! Damit hat hier niemand gerechnet. Milstein führt vor, wie gut all die Erinnerungskultur in der Theorie funktioniert und wie schnell alles ins Wanken gerät, wenn sie sich bewähren soll. Dann stolpern alle über Klischees und Vorurteile, bremsen sich mit Überkorrektheit aus und entlarven sich selbst. „Einen Juden zu spielen ist Kunst“, bricht es einmal aus Beate heraus. „Ein Jude zu sein ist Provokation!“ Sätze wie diese bahnen sich an diesem Abend lange an, um dann plötzlich aufzuploppen.
Da feilen sie an der Einstimmigkeit des Chors, um die Viel- und Missstimmigkeit der Realität zu übertönen. In einer der intensivsten Szenen singt Annika Neugart im weinroten Paillettenkleid als Therese Giehse über Auerbach in Auschwitz, wo er gezwungen wurde, als Chemiker Seife für die SS zu produzieren. Hinter ihr tanzt das Ensemble in abstrusen weißen Püschelkostümen herein. Als Kuhn alias Auerbach sich zu Wort meldet, und damit die anderen zwingt, sich ihm zu stellen, wehrt Beate ab: „Herr Kuhn, wir haben hier gerade unser Seifenballettnummer!“
Auch wenn der Abend die Spannung nicht die gesamte Dauer über halten kann: Wie sich hier zwischen dem Willen, alles richtig zu machen, und der Angst vor dem nächsten Shitstorm die bittere Realität in die heile Welt der Theaterprobe einschleicht, ist furios. Finzi lässt die beiden jüdische Figuren, Kuhn und Auerbach, verschmelzen zu einer intensiven Studie der Hoffnung und der Ernüchterung. Milstein hält uns einen Spiegel vor und erinnert seinerseits an ein paar unbequeme Wahrheiten. Wie wir uns feiern als aufgeklärte und tolerante Demokrat:innen, während Antisemitismus und Intoleranz längst wieder auf dem Vormarsch sind. Oder nie überwunden wurden. Wie wir gescheitert sind an unserem Anspruch. Das dystopische Bild einer Gesellschaft, in der es keine Jüd:innen mehr gibt, aber eine Antisemitismusbeauftragte, ist ein Weckruf an uns alle.
Szene mit (v.l.): Edmund Telgenkämper, André Benndorff, Martin Weigel, Johanna Eiworth und Annika Neugart aus „Play Auerbach“. Foto: Julian Baumann