Die Uraufführung "Schneckenmühle" nach dem Roman von Jochen Schmidt am Staatsschauspiel Dresden

Möglichst viel Zeit, bis die Zukunft beginnt

Jochen Schmidt: Schneckenmühle

Theater:Staatsschauspiel Dresden, Premiere:26.10.2013 (UA)Regie:Robert Lehniger

Ja, das war doch irgendwie die schönste Zeit des Lebens. Natürlich nur aus gegenwärtiger Perspektive, denn damals gab es nur Probleme und diese waren von existenziell höchst exponierter Bedeutung: Wer schläft wo? Wann gibt es Essen? Was ist verboten? Wann steigt die Nachtwanderung? Und: Wo wohnen die Vertreter des anderen Geschlechts? Freilich konnten angenehme Begleiterscheinungen dieser Zeit die Problembewältigung ein wenig relativieren: Endlich lange aufbleiben, mal von den Eltern weg, neue Kumpels finden oder die Bande mit den vorhandenen durch hitverdächtige gemeinsame Aktionen stärken. Ohne Zweifel, das Ferienlager ist der Höhepunkt eines jeden Jahres während der Jugend und ein Stück der „möglichst vielen Zeit, bis die Zukunft beginnt“.

Am Staatsschauspiel Dresden kommen einem die Erinnerungen mit der Premiere von „Schneckenmühle“ wieder in den Sinn, insbesondere für ehemalige DDR-Bürger. Beret Evensen und Robert Lehniger haben den Roman von Jochen Schmidt für die Bühne aufbereitet. Darin erzählt Jens von seinen Erlebnissen und den damit verbundenen Gefühlen im Ferienlager.

Die Bühnenfassung ist eher ein Monolog von Jens (Thomas Braungardt) mit szenischen Einstreuungen. Die Schauspieler verkörpern mehrere Rollen, mit kleinen Details – etwa einem Bart und Brille oder einem Haarreif mit angeklebtem Pony – verwandeln sie sich in die jeweilige Figur. Ein Wechselspiel, das mitunter verwirrend ist und oberflächlich wirkt, weil der Kostümwechsel zu Lasten gut ausgespielter Rollen geht. Lustiger Fixpunkt in diesem Mix sind Holger, Eike und Wolfgang, die Bungalowgenossen von Jens, gespielt von Studenten des Schauspielstudios Dresden. Tobias Krüger heitert als chauvinistischer Holger, kommunikativer russischer Offizier und seriöser, aber ungewollt komischer Pastor auf. Lukas Mundas gelingt der Betreuer Wulf besser als seine Hauptrolle Eike. Max Rothbart schlägt sich in allen Partien ganz gut. Die weibliche(n) Rolle(n) mimt Laina Schwarz, die sich als gefoppte Peggy und Lagerleiterin Rita am besten behaupten kann.

Thomas Braungardt ist ein Jens, den jeder nur zu gut verstehen kann. Entweder, weil man selbst mal so ein Jens war, oder, weil man einen kannte. Mit ihm kommt alles in den Zuschauerreihen an, was die Otto-Normal-Jugend ausmacht: die schizophrene Suche nach der eigenen Identität, der verständnislose Kampf gegen die flachen Witze der „Coolen“ und die Unsicherheit bei der ersten Erfahrung mit der Liebe. Jens meint meist alles ernst, was er sagt, und erntet damit doch die meisten Lacher. Trotzdem ist er ein sympathischer Kerl, den man am Ende, als er mit Mutti und Vati im Wartburg nach Hause fährt und sich ihnen gegenüber irgendwie fremd fühlt, vollends versteht.

Die Inszenierung arbeitet mit Videoelementen als ein Hauptgestaltungsmittel. Noch vor dem Beginn der eigentlichen Vorstellung flimmern auf zwei Leinwänden kleine dokumentarisch anmutende Episoden: zum einen Erzählungen von Kindern, die in der heutigen Zeit im Ferienlager Schneckenmühle zu Gast sind, und zum anderen verschiedene Menschen, die Fragen zu ihrer eigenen und den grundsätzlichen Diskursen der Jugend beantworten. Auch während der Vorstellung wird das Video eingesetzt: als Lupe oder Kulisse für die stimmmungsvolle Untermalung von Szenen.

Um den DDR-Hintergrund der Schneckenmühle verstehen zu können, sollte man historisches Wissen mitbringen. Aber auch ohne dieses ist die Inszenierung ein charmanter Ausflug in die eigene Jugend, auch wenn man nie ein Ferienlager besucht hat.