Foto: Anfangstableau mit Fanny Lustaud als Belle (l.) und Rafael Bruck, noch ohne Biest-Kostüm (r.) © Carl Brunn/Theater Aachen
Text:Andreas Falentin, am 27. August 2021
Opern nach Filmen sind selten. Der Medientransfer scheint komplex. Geht es auf der Leinwand stets grundsätzlich ums Spiel von Authentizität und Illusion, um die Gestaltung des Vergehens von Zeit und der Reise von einem Ort zum anderen, ist Theater immer jetzt, hier und künstlich.
Eine zusätzliche Erschwernis bietet in diesem Fall die filmische Vorlage: „La Belle et la Bête“ von Jean Cocteau, ein Publikumsrenner aus dem Jahr 1946 mit magischen, fast schon fanatisch poetischen Schwarz-Weiß-Bildern. Wie damit umgehen auf einer heutigen Bühne? Zumal das allgemeine Verständnis, die optische Vorstellung von dem Stoff von zwei Disney-Verfilmungen geprägt ist: vom Zeichentrickfilm von 1991 – dem letzten Disney-Animationsfilm mit handgezeichneten Figuren – und der Realverfilmung von 2017 mit der „Harry Potter“-Hero(m)ine Emma Watson in der Hauptrolle.
Zunächst hilft die Musik, zumal wenn sie so gespielt wird wie vom Sinfonieorchester Aachen unter Mathis Groß. Da gibt es zwar kleine Wackler in der Tempodramaturgie, aber das Hauptkriterium von Glass’ Komposition, die Vielfalt der Klangfarben bei begrenztem Instrumentarium, wird strahlend eingelöst. Die vielen kleinen Effekte werden sinnlich, die Mikrovariationen in den repetitiven Strukturen erscheinen belebt und beleuchtet. So macht allein das Hören Freude. Zumal sehr engagiert gesungen wird, wenn auch nicht auf vollständig ausgeglichenem Niveau. Aber was Ronan Collett als unsympathischer und unglücklicher Bräutigam in spe mit seinem sehnig-sahnigem Bariton anstellt oder wie Larisa Akbari die unsympathische Schwester Félicie in wilden Sopranhöhen mit schlanken Ausdrucksspitzen versieht, dafür darf man schon mal nach Aachen fahren. Wo man dann auch Fanny Lustaud als Belle begegnen wird, die mit klarem Timbre und großer Ausstrahlung und Musikalität eindeutig das Zentrum dieses Theaterabends ist.
Reinhild Hoffmann hat ein klares Inszenierungskonzept für das 1995 uraufgeführte Stück, für das Philip Glass Jean Cocteaus Filmszenario fast eins-zu-eins in Musik gesetzt hat. Einerseits sucht die Regisseurin durchaus die Nähe zur Ästhetik des Films und zeigt ein Nachtstück in Schwarz-Weiß-Optik, andererseits reduziert sie gemeinsam mit ihrer Ausstatterin Sabine Böing die Opulenz, was zu Momenten schöner dramatischer Ironie führt. Vor allem aber versucht Hoffmann, den Stoff mittels konkreter Ding- und Bildsymbole auf der Bühne zu verorten. Sie löst Handlung in Bewegungen und Bilder auf, die für sich selbst stehen und sich im besten Fall zu eigenständigen kleinen Szenen zusammenfügen. Das gilt für den Verschiebebahnhof des holzgeschnittenen Tannenwaldes, für das von einer sich unermüdlich verbeugenden Flasche ins Werk gesetzte Besäufnis des Vaters (Pawel Lawreszuk), den spielerischen Umgang mit dem Hengst „Magnifique“ als Kinderrad mit Einhornfront oder das völlig sinnfreie und eben darum ergötzliche Herummarodieren eines hirschartigen Wesens. Auch die geschmack- und fantasievolle Präsentation der Szenentitel gehört zu diesen Aktivposten. Zumal dies alles unmittelbar aus der Musik herauszuwachsen scheint.
Eine weitere Stärke von Reinhild Hoffmanns Ansatz ist der Umgang mit den Körpern der Sängerinnen und Sänger. Natürlich spürt man hier die erfahrene Choreographin. Sie entlockt dem Ensemble etliche körpersprachliche Ausdrucksnuancen, die auf der Opernbühne doch eher selten sind. Bilder werden konzentriert gebaut und frieren präzise ein. Auch für die Umbauten, die Bewegung des Waldes und für die dienstbaren Geister im Biest-Schloss ist das Ensemble zuständig und entledigt sich der ungewohnten Aufgaben mit Präzision und Leidenschaft.
All das führt allerdings dazu, dass die Momente, in denen „nur“ die Handlung fortgeführt wird, ein wenig routiniert, fast provisorisch wirken – und dadurch abfallen. Von diesen Momenten ist überdurchschnittlich oft das Biest betroffen, dessen Kostümierung – niedlicher Disney-Löwenplüsch, später kitschiger güldener Anzug (sentimentales Pathos oder ziellose Ironie?) – zudem der Tiefpunkt des Abends ist. Rafael Bruck unterzieht sich seiner Rolle mit Würde und schönem lyrischen Bariton, der allerdings nicht in jedem Moment über das Orchester kommt und für die Rolle eine Spur zu hoch zu liegen scheint.
Obwohl durch das beschriebene Ungleichgewicht die Handlungsstringenz ein wenig leidet, vor allem zu Beginn von Belles Aufenthalt im Schloss und am Schluss, darf die Aufführung aufgrund vieler mitreißender Momente als gelungen bezeichnet werden. Zumal durch kluge Konzeption und das spürbar sehr hohe Engagement aller Beteiligten tatsächlich eine ernst zu nehmende und unterhaltsame Theatervariante des Filmstoffs entstanden ist.