Foto: Hamlet und Ophelia in „The Best of Shakespeare“ © StudioWill
Text:Andreas Falentin, am 21. Mai 2022
Sehr ungewöhnliche Performance beim Neusser Shakespeare Festival: StudioWill aus Jerewan in Armenien präsentierte einen Abend mit Ausrissen aus und Projektionen auf Shakespeares fünf Tragödien und mehrere Sonette. Die Inszenierung von Zara Antonyan befreit, ungehindert von dramaturgischen Strukturen, die Gefühle aus den Texten und lässt sie scheinbar auf direktem Weg, gestützt durch die wirkungsvollen, nie historischen Kostüme von Viktoria Riedo in die Körper ihrer großartigen drei Schauspielerinnen und fünf Schauspieler hineinfahren. Den roten Faden bildet dabei „Hamlet“, Figur wie Stück: Zu Beginn belehrt der dänische Prinz die Schauspieler, am Ende sieht er mit „Sein oder nicht Sein“ Ophelia beim Sterben zu.
Tanz den Dramenkontext
Bei allem, was wir sehen dominiert die Bewegung, der Körper, der stets die Beziehung zu, die Berührung mit einem anderen Körper sucht. Lears „böse“ Töchter Goneril und Regan umkreisen sich mit Schnurrbärten und absurden Haartrachten und stehen am Ende als ganz „normale“ junge Frauen auseinander. Wir sehen Jago in einer erotischen Glücksfantasie, die quasi das berühmte Taschentuch gebiert und dann Othello und Desdemona, die so leidenschaftlich und harmonisch beieinander sein könnten und es doch, aus den bekannten Gründen, nicht sein können. Wir sehen zwei Mal hintereinander Szenen mit Romeo und Julia, einmal als Komödie der Verliebtheit im leeren Raum, einmal als mit federleichter Ironie überzogenes hochgespanntes Melodram auf einer metallenen Bettstatt – neben einem durchsichtigen Kasten, in dem schließlich Ophelia ertrinkt das einzige größere Requisit oder Bühnenbild Element. Und immer wieder scheint das Schicksal persönlich zu erscheinen, mit nacktem Oberkörper und im weißen bodenlangen Rock. Es hat einen muskulösen Männerkörper und bewegt die Arme wie ein Adler seine Flügel.
Figaro bei Shakespeare
In den Sonetten hingegen geht es fast immer aggressiv zu, verzichtet dieses Theater, das als Wurzel allen Theaters Leidenschaft und Begehren ausgemacht hat, dem also alles Wur und Zärtlichkeit, Liebe und Gewalt ist, verzichtet also Zara Antonyans Theater auf den Humor. Außer in dem Moment, wo alle fünf Männer gleichzeitig auf der Bühne stehen, drei den Sonetttext zischen und ihn als Waffe benutzen gegen die zwei anderen, die a cappella Rossinis berühmte Figaro-Arie aus dem „Barbiere di Sivigla“ schmettern, also einfach fröhlich sein wollen.
Das Bemerkenswerteste an diesem Abend ist die Körperlichkeit. Da hebt der eine die andere, auch mal umgekehrt, die Körper winden sich umeinander und verschmelzen oder sie finden sich eben nicht. Da wird die Vertikal-Achse fast genauso bespielt wie die Horizontale, klettern die Akteure hinauf oder hinab, senken sich Ketten oder Seile aus dem Bühnenhimmel und werden bespielt. Und die Gesichter erzählen viel, reißen hinein in die ihrer Spielhandlung beraubten Figuren, machen sie zu Menschen.
Natürlich wiederholen sich die Mittel, wird etwa viel geschossen und noch mehr geküsst, meint man irgendwann auch, jetzt genug Paarkonstellationen erlebt zu haben. Und Armenisch scheint eine sehr schöne Sprache zu sein, aber die angekündigten Übertitel sind eher Andeutungen und Zusammenfassungen und werden zudem mehrfach durch den Bühnennebel ganz unsichtbar. Aber die szenische Fantasie, die erstaunliche Intensität dieses Spiels, die Beweglichkeit und (Bild-)Kraft dieser acht Körper lassen die 90 Minuten im Neusser Globe sehr kurz erscheinen.