Was ist eine Sozialgemeinschaft? Wie wichtig ist sie überhaupt? Gerade im englischen Sprachraum wurden diese Fragen immer wieder auf der Bühne erforscht und für sie produktiv gemacht, mit ästhetisch so unterschiedlichen Entwürfen wie „Our Town“ von Thornton Wilder oder „Under Milk Wood" von Dylan Thomas. „The Last Ship“, 2014 uraufgeführt und in Koblenz erstmals in Deutschland zu erleben, schreibt diese Tradition fort und fügt ihr gleichzeitig eine neue Dimension zu. Denn Wallsend bei Newcastle ist ein realer Ort und die geschilderten Vorgänge um eine Werftschließung in den 80er-Jahren sind der Realität – und der Biographie des Komponisten Sting – zumindest abgelauscht. Da der konkrete Ort aus der Rückschau betrachtet wird, ist das Geschehen dynamisch: Wir kennen nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft dieser Menschen, erleben zu Beginn, wie ein gesellschaftlicher Mikrokosmos auf die schiefe Ebene gerät und müssen dabei zusehen, wie sie sich gegen das Abrutschen zur Wehr zu setzen versuchen.
Natürlich hilft die Musik, ein Amalgam von Folk-, Pop-, Shanty- und genuinen Musicalklängen mit spröder, manchmal tänzerischer, immer timingsicherer Melodik, die traumwandlerisch auf dem Grat zwischen Melancholie und Sentimentalität balanciert. Dazu haben John Logan und Brian Yorkey starke, fassbare Figuren geschrieben wie Peggy und Jackie White, große Liebende ein Leben lang, er Vorarbeiter auf der Werft, sie eine Art Mutter der Kompanie. Er stirbt an Lungekrebs. Da ist Gideon Fletcher, der „seine“ Meg mit 17 verlassen hat, um Kaff und Werft zu entfliehen, um auf See zu gehen, und nicht weiß, dass er eine Tochter hat, die wiederum gerne in London Popstar werden will. Es gibt Billy Thompson, den Marxisten und Davey Harrison, den Trinker und genialen Instinkt-Handwerker. Es gibt starke Frauen, die die Dinge klarer sehen und strukturierter handeln als ihre wutbesoffenen Männer. Und es gibt Adrian Sanderson, der, ohne nennenswerte Schulbildung, Homer, Cervantes und Shakespeare liest und sie gerne öffentlich zitiert, um diese geheimnisvollen Texte dadurch vielleicht verstehen zu können. Spätestens, wenn er an Jackies Sarg, den er selbst gezimmert hat, Dylan Thomas anzitiert, wissen wir, dass die Autoren genau wissen, was sie tun, dass sie die Kultur als Fundament gemeinschaftlichen Lebens bewusst gegen die Herrschaft von Geld und Ellenbogen stellen.
Der Regie führende Intendant Markus Dietze gestaltet diesen derart aufgeladenen Mikrokosmos durch klare Abläufe, was zu einem Teil sicher auch einzuhaltenden Hygienekonzepten geschuldet ist. Die szenischen Vorgänge laufen selbstverständlich ab, sind kleinteilig genau gearbeitet – jeder Schritt, jede Silbe – und schwingen doch frei. Weitgehender Verzicht auf Requisiten und Exaltationen verhindert ein Abgleiten in platten Realismus. Die Bühne von Paul Demelius ist ein Holzkasten, der hinten durch eine große Videowand begrenzt wird, auf die durchgängig Atmosphärisches und Dokumentarisches projiziert wird. Auch hier ist Versinnlichung der Zweck (und das zur Verfügung Stellen von Informationen). Illustration oder Dekoration wird vermieden.