Barrie Koskys "Frühlingsstürme"-Ensemble: Dominik Köninger (Roderich Zirbitz), Alma Sadé (Tatjana), Stefan Kurt (General Wladimir Katschalow), Vera-Lotte Boecker (Lydia Pawlowska), Arne Gottschling (Hotelconcierge) und Komparserie.

Meisterliche Absichten

Jaromír Weinberger: Frühlingsstürme

Theater:Komische Oper Berlin, Premiere:25.01.2020Regie:Barrie KoskyMusikalische Leitung:Jordan de Souza

Der bekannte schweizerische Fernseh- und Theaterschauspieler Stefan Kurt ist in der Rolle des russischen Generals Wladimir Katschalow durchaus ein Garant dafür, dass Jaromír Weinbergers „Frühlingsstürme“ der virtuosen Albernheit des Genres Operette an der Komischen Oper Berlin verhaftet bleiben. Von der Liebe zu der mondänen Witwe Lydia Pawlowska und von seiner vorlauten Tochter Tatjana wird Katschalow alias Kurt an der Aufgabe, das japanische Heer zu besiegen, stetig gehindert und zappelnd und quasselnd durch die Handlung im russisch-japanischen Krieg 1905 geschleudert. Im letzten Bild mündet dies in einem Luxushotel in Lausanne: im bestens funktionierenden Drehtür-Gag aus der klassischen Hollywood-Ära. Gewohnt als intellektuell reiches und in der Ausstattung armes Theater lässt Barrie Kosky seinen Bühnenbildner Klaus Grünberg als Hauptquartier des Kaiserlich-Russischen Armee-Oberkommandos einen erdfarben-hässlichen Würfel hinstellen, der später allerdings auch, mit fernöstlichen Seidenvorhängen geschmückt, als Schlafgemach der unstet liebenden Lydia Pawlowska herhalten wird. Dem Schauspielerischen wird von Weinberger viel Raum, von Kosky große Aufmerksamkeit eingeräumt: Schnelle und scharfzüngige Dialoge entwickelt Stefan Kurt gleich zu Beginn mit Oberst Baltischew (Tino Lindenberg) als Oberst Baltischew sowie Luca Schaub als Großfürst Michailowitsch.

Weinbergers „Frühlingsstürme“ gehören mit diesem Singspiel-Charakter den äußeren Kennzeichen nach also tatsächlich zum Operettengenre – aber die Zeiten, in denen das Stück entstand, waren namentlich für den tschechischen Juden Weinberger zu ernst für bloßen Klamauk. Startenor Richard Tauber etwa wurde kurz nach der Premiere in Berlin von Braunhemden zusammengeschlagen.

Auf eine direkte Parallele indes legt es Kosky in seiner Inszenierung vordergründig nicht an. Schließlich gilt es, das Operettenhafte auch der militärischen Rahmenhandlung 1905 im russisch-japanischen Krieg zu betonen: Die Absurdität aller Kriege dieser Welt und ihrer Akteure, der Soldaten, ist bekanntlich ein Motor für viele Operetten seit Offenbach. Doch die Grausamkeit dieses Krieges, der gerade wieder aufflammte, lag 1933 nicht lange genug zurück, um über Liebe und Lust zu schwadronieren – und was heraufzog, verdarb dem tschechischen Juden Weinberger nachweislich allen Spaß. Die gewohnten Gags, gerade in den Operettenproduktionen der Komischen Oper Berlin hoch im Kurs, werden aus der Haupthandlung ausgelagert: Sie werden mit viel Gaga geboten vom Bariton Dominik Köninger in der Rolle des schlitzohrigen Journalisten, der sich in seiner heimlichen Liaison zur Generalstochter (tonschön und mit aufdringlicher Operetten-Albernheit: Alma Sadé) als Meister virtuos inszenierter Stand-Up-Comedy erweist.

Dagegen geht es für den Liebhaber Ito, einen japanischen Generalstabsoffizier, nicht nur in der Liebe, sondern auch im Leben ums Ganze. Er spioniert bei den Russen, und die gehetzte Angst stellt der wunderbar seine Stimme führenden Tenor Tansel Akzeybek kompromisslos und ohne Augenzwinkern dar. Wenn man ihn und seine Angebetete Lydia Pawlowska – mit durchsschlagskräftigem und schlankem Sopran: Vera-Lotte Boecker – als Hauptpersonen begreift, dann ist diese Operette ein Vorgänger von Ernst Lubitschs Tragikomödie „Sein oder Nichtsein“ von 1942 über eine Widerstandsgruppe in Warschau. Mit „Frühlingsstürme“ haben Weinberger und sein Librettist Gustav Beer keinen bloß läppischen Konsalik-Titel gewählt. Vielmehr ist dies in einer grausamen kriegerischen Auseinandersetzung eine Losung, mit welcher der japanische Spion die russischen Linien durchbrechen könnte: ein bisschen Lubitsch, ja – und in der Sachlichkeit und Dramatik des erzählten Abenteuers mit zahlreichen Handfeuerwaffen auch ein bisschen James Bond.

Jordan de Souza in seinem präzisen Dirigat von „Frühlingsstürme“ geht mit dem großen Orchester, das nach Rekonstruktion des Werks im Graben sitzt, klanglich weit in den Bereich der großen nachromantischen Oper hinein. Ganz Operette ist wiederum das Tänzerinnenensemble in der stilechten, atemberaubend präzisen Choreographie. Im großen Liebesduett zwischen dem Spion Ito und der mondänen Lydia sind die Protagonisten umstellt von einer Welt aus Zwang und Tod, während die Tänzerinnen mit Straußenfedern auftreten. Man sieht die Elemente des offensiv Unpassenden, also der Operette – aber sie stören hier den Plot, anstatt kurzweilig zu zerstreuen. Kosky ist mit der Komischen Oper im Operettenfach so weit gekommen und diese Produktion ist so gründlich erarbeitet, dass man ihm mit diesem Kniff der Inszenierung meisterliche Absicht unterstellen darf.