Bis vor einigen Jahren gehörte es zur Dramaturgie der Bregenzer Festspiele, neben der Blockbuster-Oper auf der Seebühne eine Ausgrabung im Festspielhaus zu präsentieren. Die Auschwitz-Oper „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg war 2010 die letzte großartige Entdeckung. Danach stellte Intendant David Pountney auf Uraufführungen von Auftragswerken um, was bislang nicht sehr erfolgreich war. Judith Weirs stumpfes Sozialdrama „Achterbahn“ (2011) konnte genauso wenig überzeugen wie Detlev Glanerts Science-Fiction-Oper „Solaris“ im vergangenen Jahr. Eigentlich sollte 2013 HG Grubers „Geschichten aus dem Wienerwald“ uraufgeführt werden, aber die Festivalleitung gönnte dem österreichischen Komponisten noch ein zusätzliches Jahr für die Orchestrierung. Nun stand mit André Tchaikowskys „Der Kaufmann von Venedig“ eine Oper auf dem Programm, die beide dramaturgische Schienen bediente: Uraufführung und Ausgrabung.
Zwischen den Biographien von Weinberg und Tchaikowsky gibt es durchaus Parallelen. Beides waren Klavier spielende Wunderkinder, beide waren Juden – und setzten sich in ihrer Musik auch mit dem Judentum auseinander. Während der Russe Weinberg Warschau bereits direkt nach dem Überfall der Deutschen 1939 verließ, lebte der Pole Tchaikowsky, der am 1. November 1935 unter dem Namen Robert Andrzej Krauthammer geboren wurde, bis 1942 im Warschauer Ghetto, ehe er gemeinsam mit seiner Großmutter flüchten konnte. Der neue Name Tchaikowsky war überlebenswichtig. Nach dem Krieg startete er eine internationale Karriere als Pianist. Die große Leidenschaft von Tchaikowsky galt aber dem Komponieren. Seine Shakespeare-Oper „Der Kaufmann von Venedig“, die er bis zu seinem Tod am 25. Juni 1982 in Oxford fast vollenden konnte (nur 28 Takte Orchestrierung fehlten), war sein größtes Opus. Die zurückhaltend aufgenommene Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen bringt nun ein respektables Werk ans Licht, das zumindest phasenweise große atmosphärische Dichte entwickelt und handwerklich solide gearbeitet ist.