Foto: Maren Schwier in "Miss Donnithorne's Maggot" am Staatstheater Mainz © Andreas Etter
Text:Bernd Zegowitz, am 3. Juli 2023
Gleich in zwei Werken beschäftigte sich der britische Komponist Peter Maxwell Davies mit dem Wahnsinn. Am Staatstheater Mainz werden beide kurze Opern zusammen gezeigt. Die Inszenierungen zeigen vor allem verletzte und verlassene Menschen.
U 17 ist in Mainz nicht nur die Bezeichnung für eine Jugendmannschaft des örtlichen Fußballvereines, sondern auch für eine Spielstätte des Staatstheaters. Tief unter der Erde – ungefähr 17 Meter, die man hinabsteigen oder -fahren kann – liegt die ehemalige Probebühne des ballettmainz. Kein Ort wäre passender für die Inszenierung zweier musikalischer Fallanalysen des englischen Komponisten Peter Maxwell Davies: „Eight Songs for a Mad King“ und „Miss Donnithorne‘s Maggot“.
Die erste handelt von dem englischen König George III., der die letzten Lebensjahre, dem Wahnsinn verfallen, isoliert auf Windsor Castle lebte. Die zweite erzählt von Mrs. Donnithorne, die am Tag ihrer Hochzeit von ihrem Bräutigam sitzen gelassen wurde. Seither verlässt sie das Haus nicht, legt das Brautkleid nicht ab und lässt die Hochzeitstorte vor sich hin schimmeln.
Kurze Opern des Wahnsinns
Obwohl die beiden Monodramen im Abstand von einigen Jahren entstanden sind, gehören sie zusammen. Maxwell Davies komponierte die „Eight Songs“, für die der Librettist Randolph Stow auf Texte von George III. zurückgriff, im Jahr 1969 für ein kleines Ensemble, bestehend aus Violine, Cello, Klarinette, Flöte, Klavier/Cembalo und Schlagwerk. Dieselbe Besetzung verwendet er für die 1974 uraufgeführt „Miss Donnithorne“, für die erneut Randolph Stow den Text schrieb, der ebenfalls aus acht Liedern besteht.
Wie in Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“, der als Vorbild durchscheint, kombiniert Maxwell Davies die Instrumente ganz unterschiedlich, greift auf ausgefallene Spieltechniken zurück und lässt die Musiker kontrolliert improvisieren. Giulio Cilona und sie sechs Musikerinnen und Musiker des Staatsorchesters Mainz machen das mal ganz akkurat, mal schwungvoll ausgreifend. Sie schwelgen in den an die Salonmusik des 19. Jahrhunderts erinnernden Passagen, spielen metrisch exakt bei den polyrhythmischen Abschnitten. Im dritten Lied imitieren sie fröhlich Vogelstimmen. Bei all dem sind sie immer überaus genau auf die Singstimmen abgestimmt – ganz gleich, ob sie rezitativisch begleiten oder melodisch dominieren.
Großartige Leistung in Mainz
Die beiden Gesangstimmen loten den kompletten Bereich zwischen Sprechen und Singen aus. Und mit dem Bariton Dietrich Volle als krankem König und der Sopranistin Maren Schwier als ewiger Braut hätte es das Mainzer Theater kaum besser treffen können. Volle ist ein umwerfender Schauspieler, der seine Figur immer in der Schwebe hält. Bei ihm ist kaum auszumachen, ob der König krank ist oder ob ein Kranker den König spielt, welche Momente licht und welche dunkel sind. Er flüstert und schreit, macht unartige Geräusche, spricht klar, singt schön. Doch alle Kommunikation mit der Außenwelt misslingt. Besonders rührend ist das Scheitern beim Versuch, den Vögeln das Singen beizubringen.
Die Partie der Miss Donnithorne ist ebenfalls eine stimmliche Tour de force, die über drei Oktaven geht, aber opernhafter angelegt ist als die Rolle des Königs. Maren Schwier schafft es, dem Konzept der Regie folgend, ihre Donnithorne nicht als schwadronierende, hysterische Alte zu zeigen, sondern als vielfach gespaltene Persönlichkeit, deren Traumata tiefer liegen als die einer verlassenen Braut. Wie sie in alle Rollen schlüpft, in den unmöglichsten Stellungen die unmöglichsten Töne singt und dabei über die Bühne wirbelt, ist total verrückt. Besonders schön klingt das am Ende des Stückes, wenn in einer Art Abschiedsmoment die französische Oper der Jahrhundertwende musikalisch evoziert wird. Aber schön ist ansonsten bei Maxwell Davies keine relevante ästhetische Kategorie!
Versuche der Kontaktaufnahme
Die beiden Regisseurinnen Katarzyna Bogucka und Stefanie Hiltl haben in Mainz eng zusammengearbeitet. Der Raum ist schwarz verhängt, der Bühnenboden weiß, die wenigen Requisiten sind Weiß gehalten. Die Ausstatterinnen Viktoria Schrott und Lina Maria Stein haben den Mad King, der sich nur gelegentlich den weißen Königsmantel mit Tigerfelleinlagen umlegt und die weiße Stoffkrone aufsetzt, in einen graublauen Wohlfühlschlabberlook gesteckt. Der König könnte auch ein ganz gewöhnlicher Insasse einer aseptischen Nervenheilanstalt sein, vom Leben ausgeschlossen, den Menschen entfremdet.
Bogucka zeigt dessen Versuche, wieder ins Leben zu finden, die Versuche der Kommunikation nicht nur mit den Vögeln, sondern auch mit dem Publikum, dem Orchester, der Musik. Dafür stehen auch das an einen Punkt erinnernde kreisrunde Sofa und die einem Komma gleichende riesige Trillerpfeife. Beide gemeinsam ergeben ein Semikolon, das – schreibt die Regisseurin – einer internationalen Bewegung der Suizidprävention und Awareness für psychische Störungen als Symbol gilt. Viel hätte der König noch zu sagen, viele gäbe es, die ihm zuhören könnten und ihm dadurch Bedeutung verliehen, doch am Ende legt er sich aufs Sofa und verkündet aus dem Gefühl der Nicht-Existenz heraus seinen eigenen Tod. Punkt. Schluss.
Seelische Wunden und Traumata
Im zweiten Stück dominiert das kreisrunde Sofa, erweitert zur Fransenlampe oder zur geschichteten Hochzeitstorte. Für Stefanie Hiltl ist Miss Donnithorne nicht einfach eine verlassene Braut, sondern eine zutiefst verletzte Frau, deren Wunden tiefer sind, deren Traumata bis in die Jugend zurückreichen. Mehr oder weniger dezent deuten Videoeinspielungen (Gerald Haffke) an, was passiert ist. Daran und an allen Beteiligten arbeitet sich die Protagonistin ab, übernimmt deren Rollen, blickt aus deren Perspektiven auf das Geschehen, kann nicht loslassen, also gerade keinen Punkt machen.
In der Umbaupause zwischen beide Stücken spielt Paul-Johannes Kirschner „Five little pieces for piano“ – natürlich von Peter Maxwell Davies. Die Technik kehrt den Bühnenboden, baut die Torte auf, schiebt das Komma raus. Anders ließe sich der Wahnsinn auch gar nicht aushalten.