„An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung“ sagt Eddy und mit ihm sein Autor Édouard – dagegen gibt es viele an physische Gewalt bis zum sexuellen Missbrauch unter Gleichaltrigen und psychische Zerfleischungen daheim. Barish Karademir hat die Figur dreigeteilt. Louis‘ faszinierend präziser Text zu Eddys Sozialisation ist hauptsächlich dem schlanken Max Roenneberg zugeteilt. Tendenziell erhält die zwischen Schroffheit und Milde scharf wechselnde Natascha Weigang die brutalsten Episoden und Kraftausdrücke.
Hass- und Häme-Magnetismus
Aber in der besuchten Vorstellung am 17. April ist etwas Wesentliches anders. Gabriel Kähler springt für Lilly-Marie Vogler ein und verändert so die Besetzungstriade. Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob zwei Frauen und ein Mann oder zwei Männer und eine Frau die theatralen Mosaiksteine zum Porträt des blessierten Eddy setzen. Die Parallelbewegungen von Karademirs Choreographie zerfallen somit. Mit hoher Farbigkeit liest Kähler noch aus dem Textbuch und füllt den kalten Funktionalismus der Szene mit emotionaler Wärme.
Karademir bringt der Titelfigur hohe Empathie entgegen. Dabei greift die Produktion mit ihren Ebenen von systemischer, sozialer und familiärer Gewalt über eine schwule Coming-of-Age-Geschichte weit hinaus. Der vielleicht nonbinäre Eddy ist ein außerordentlich prägnanter Fall von Hass- und Häme-Magnetismus. Die Inszenierung fängt plausibel und mit einem faszinierten Sog ein, unter welchem Stress derartiges Gewaltpotenzial entsteht und perpetuiert. Diese Gewalt wird angedeutet und mit vier engagierten Statisten verdichtet. Durch das scharfe, prägnante Erzählen der Figuren entsteht unweit vom Schauplatz des ähnliche Vernichtungskampagnen thematisierenden Klassikers „Jagdszenen aus Niederbayern“ eine eisgraue Biopic-Ballade, die unabhängig vom Prozess schwuler Bewusstwerdung noch lange nachhallt.
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