Szene aus "Leonore "40/45"

Liebe in Zeiten der Krise

Rolf Liebermann: Leonore 40/45

Theater:Theater Bonn, Premiere:10.10.2021Regie:Jürgen R. WeberMusikalische Leitung:Daniel Johannes Mayr

„Fokus ‘33“ heißt die Reihe am Theater Bonn, mit der man dort den Blick auf ein geradezu sträflich vernachlässigtes Repertoire lenken will. Gefördert vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Kultur und Wissenschaften und in Zusammenarbeit mit dem NRW Kultursekretariat will man Werke in den Fokus nehmen, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg zu Unrecht im Raritätenkabinett des Repertoirebetriebes gelandet sind.

Dafür macht man eine Menge Bares locker, bietet allerdings auch wirklich Rares, allein in der aktuellen Spielzeit vier Premieren: „Ein Feldlager in Schlesien“ von Giacomo Meyerbeer und „Li-Tai-Pe“ von Clemens von Franckenstein, aber erstaunlicherweise auch „Arabella“ vom gewiss nicht unterrepräsentierten Richard Strauss. Ganz aktuell feierte „Leonore 40/45“ von Rolf Liebermann Premiere, ein Stück, das vor nicht weniger als 62 Jahren zum letzten Mal inszeniert wurde.

Gute Story mit mehreren Ebenen

Gründe dafür gäbe es viele, Begründungen jedoch nicht. Denn genau betrachtet wäre Liebermanns „Opera semiseria“ ein schönes Repertoirestück mit einer ebenso originellen und gefälligen Handlung, die sogar ein Happy End bietet. Die musikhistorisch betrachtet sehr zahme, zwölftönige Musik tut keinem weh, im Gegenteil. Wenn das Stück auch noch so flott und stimmig wie hier vom Master of Coolness himself Jürgen R. Weber in Bonn inszeniert wird, dann dürfte dem Publikumserfolg wenig im Wege stehen. Eigentlich – denn bereits die bei Weitem nicht ausverkaufte Bonner Premiere zeigte, dass es Stücke wie dieses immer noch schwer haben.

An der Geschichte sollte es heutzutage nicht mehr liegen. Damals sorgte die aber für erboste Reaktionen: Eine deutsch-französische Liebesgeschichte? Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg? Noch 1952 war das schlicht undenkbar, heute ist es alltäglich. Wenngleich es sich in Zeiten von Corona wieder – aber aus anderen Gründen – kompliziert gestalten kann.

Im Falle der Liebermann’schen Leonore wird die Lovestory zudem noch mit einer hübschen Meta-Ebene garniert: Da reflektiert die Geschichte dann über sich selbst, verbunden mit einem alle erlösenden Eingriff eines Schutzengels in bester Deus ex machina-Manier. Weber lässt das alles auf einer angeschrägten, immer wieder variabel eingesetzten und veränderten Guckkasten-Bühne spielen. Für sich genommen scheint das wenig originell. Aber in Verbindung mit der flotten Story, der stimmigen Ausstattung von Hank Irwin Kittel und beziehungsreichen szenischen Details wie etwa den Video-Beiträgen von Gretchen Fan Weber funktioniert das alles erstaunlich gut.

Gute Leistung trotz schwieriger Bedingungen

Insgesamt wird „Leonore 40/45“ in Bonn szenisch wie musikalisch betrachtet mustergültig auf die Bühne gebracht, obwohl die Bedingungen dafür alles andere als ideal waren. Geplant und geprobt wurde alles noch unter Corona-Bedingungen, dann kam ein Lockdown. Und dann der nächste. Schließlich – als es längst wieder bessere Arbeitsbedingungen gab – stand man vor dem Problem, die Corona-Version in Post-Corona-Zeiten auf die Bühne zu bringen.

Aus Platzgründen ist das Orchester deshalb auf die Hinterbühne verbannt, der Chor steht – ebenfalls unsichtbar – an der Seite. Ohne Monitore und andere elektronisch-akustische Helferlein funktioniert da nichts. Dafür geht es aber sehr gut, denn die komplexe Synchronisation aller Beteiligten gelingt ausgezeichnet. Das Beethoven Orchester Bonn wird von Daniel Johannes Mayr zu einer wirklich großartigen Leistung angestachelt. Der von Marco Medved auf den Punkt einstudierte Chor liefert nicht zuletzt manch vertrackte Passage wie immer absolut verlässlich und brillant.

Auch die Sängerbesetzung ist ausgezeichnet: Barbara Senator sorgt als Yvette für musikalisch wie szenisch wahrlich herzergreifende Momente, Santiago Sánchez steht ihr in seiner Rolle als ihr Verlobter Albert in nichts nach. Musikalisch wie szenisch bilden die beiden ein Traumpaar. Herausragend ist Joachim Goltz als Schutzengel Emile: ein Bariton mit durchaus tenoralem Glanz – vor allem stimmlich ist das zum Dahinschmelzen.

Aber auch die restliche Besetzung (als da wären Susanne Blattert als Germaine, Pavel Kudinov als Vater, Martin Tzonev als Lejeune und verschiedene, auch aus dem Chor heraus besetzte kleinere Rollen) sind mehr als ausgezeichnet besetzt. Insgesamt ist Liebermanns „Leonore 40/45“ eine mehr als würdige Entdeckung, zumal sie musikalisch und szenisch in Bonn zu überzeugen weiß. „Alles wendet sich zum Guten in der besten aller Welten“, heißt es im Libretto an einer Stelle. Zu wünschen wäre es der Oper und der Inszenierung, auch wenn wir nicht immer in der besten aller Welten leben mögen. Aber als Plädoyer für die Liebe in Zeiten der Krise ist beides eine Wucht.