Vorgeführt wird eine bis in die Grundmauern defekte Gesellschaft von scheiternden Egomanen, wo jeder den Falschen liebt, die wahren Gefühle ins Leere schwingen („Der Mensch ist ekelerregend und nutzlos“, sagt der verzweifelt liebende Tierarzt; „Du solltest heiraten“, antwortet abweisend die Angebetete) und der gern strapazierte Pauschal-Idealismus („Alle Menschen müssen Freunde sein und Aus“) auf hohlen Worthülsen federt. Christian Taubenheim spielt den verbissenen „Katzendoktor“, der beim bloßen Gerücht von Liebesglück vom Fahrrad fällt, und Julia Bartolome ist seine psychisch kranke Herzdame, die auch mal jenseits von Gorki durch Nonsens-Sehnsüchte stolpert („Gemeinsam einsam“ und „Alle mehr ans Meer“). Zwei Figuren von wahrhaft trauriger Verzweiflung. Dieses Gewicht haben die Anderen selten, denn die Regie bleibt mit dem suchenden Blick zur Seele meistens an den Fratzen hängen. Man sieht Julian Keck, wie er die Selbstüberschätzung des Künstlers zur Jonathan-Meese-Grimasse stempelt (und dann auch noch Yasmina Rezas „Kunst“-Spott zitieren muss), verfolgt Karen Dahmen als liebeskranke Hysterikerin mit erotischem Hundehecheln zum Mode-Design und Louisa von Spies versonnen klimpernd am Piano. Stefan Lorch brüllt erst unverstärkt den schlägernden Alkoholiker und dann mit Megaphon den mordenden Revoluzzer. Man könnte ihnen, sobald sie innehalten, manches Verzweiflungswort glauben, wenn sie nicht längst inszenatorisch abgeurteilt wären.
Zwischendurch der Ruf: „Theater? – Ja!“ Dann stürmen auf Kommando die Clowns herein, wirbeln ihre Elends-Erfahrung wie Zirkusnummern, mit denen sie jederzeit auf die andere Seite der Barrikade turnen können. Philipp Weigand und Thomas L. Dietz spielen diese bösen Spaßmacher gnadenlos spaßfrei bis in die gefakte Poesie hinein und verweigern denen, die da beim Schwadronieren von der Sonne doch bloß verzückt auf die Kunstlichtspende einer geballten Kugel aus dreißig Scheinwerfern schauen, das Schutzquartier im Nachtasyl. Ein tolles Duo, in jeder Hinsicht. Am Ende ist Revolution, die Bücherwände kippen, ein Todeskommando schwärmt aus, eine Video-Sitzung als indirektes Live-Erlebnis hinter der Wand frei nach Frank Castorfs Ästhetik gibt es auch. Da öffnet Regisseur Sascha Hawemann, der vorher in Gedankensprüngen und Vorurteilen den Überblick allzu oft verlor, einen letzten Ausweg. Von der Seitenbühne rollte der zu diesem Zeitpunkt laut Text und Spiel schon verstorbene Doktor eine riesige aufblasbare Babuschka herein als wäre es die Kuschelversion des Golem, und alle finden Unterschlupf bei dieser russischen Über-Frau, modern mit dem schützenden Reißverschluss am Mantel.
Ein anregender, anstrengender, manchmal auch angestrengter Theaterabend, aber einer von der Sorte, die den Zuschauer am Tag danach mehr beschäftigt als während des Schlussbeifalls. Der Premierenapplaus war, nachdem in der Pause einige Zuschauer aufgegeben hatten, üppig und einmütig.