Eine Person in schwarzem Kleid geht mit schwingenden Bewegungen geht über einen Steg, im Hintergrund weitere Personen in Kleidern.

Elisabethanisches High-School-Drama

Juli Mahid Carly: Mariah Stuart – heads will roll

Theater:Theater der Jungen Welt, Premiere:30.10.2024Vorlage:Maria StuartAutor(in) der Vorlage:Friedrich SchillerRegie:Juli Mahid CarlyKomponist(in):Benjamin Vinnen

Am Theater der jungen Welt in Leipzig adaptiert die Regisseur:in Juli Mahid Carly den Schiller-Klassiker „Maria Stuart“ für ein zeitgenössisches Netflix-Publikum. Die Schottin heißt nun Mariah, kommt an eine neue High-School und spricht viel Jugendsprache.

Schon im Foyer des Theaters der Jungen Welt in Leipzig herrscht eine besondere Stimmung: Einige aus dem Publikum haben sich tatsächlich in glänzende und schillernde Outfits geschmissen – als ginge es gleich auf den Homecoming-Ball. Insgesamt ist das Publikum jung, immerhin richtet sich das Stück „Mariah Stuart – Heads will roll“ explizit an junges Publikum. Das muss sich schon auf Weisung des Kultusministeriums mit dem Stück beschäftigen, so will es der Lehrplan.

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Schiller-Klassiker als Netflix-Drama

Dieser Zwang sorgt hier aber nicht für gelangweilte Stimmung. Stattdessen liegt eine Anspannung in der Luft. Vermutlich ist allen klar, dass es hier keinen klassischen Schiller gibt. Schon in der Ankündigung der Inszenierung von Juli Mahid Carly meint das Jugendtheater, dass der Stoff perfekt ins Portfolio von Netflix passen würde. Und im Sinne der Internationalität, wie sie beim Streamingriesen gewünscht ist, wird die Handlung an eine High-School verlegt.

Beim Einlass kann sich das Publikum einen Lord-Namen (es ist eine gehobene Schule) aussuchen und schon mal für die Ball-Königin abstimmen. Zur Wahl stehen Elisa und Mariah. Elisadieerste ist der Schulstar: beste Noten, alle laufen ihr nach und nicht zuletzt ist ihr Vater Schulleiter. Mariah kommt neu an die Schule, weil in ihrer Heimat Schottland Bürgerkrieg herrscht.

Mehrere Personen in grauen Schuljacketts drängen sich zusammen.

Die Friedrich Schiller Swift High ist eine der besten Schulen des Landes. Foto: Tom Schulze

Wilder Mix in Leipzig

Es ist wie eine Parallelwelt auf der Leipziger Bühne: Wir schreiben zwar das Jahr 1587, aber unsere aktuelle Pop- und Jugendkultur ist sehr lebendig. Die High-School ist nach Friedrich Schiller-Swift benannt, dessen Gemälde wirkt, als hätte ein KI die Gesichter von Friedrich Schiller und Taylor Swift vermischt. Ausstatterin Sonja Hoyler hat die High-School-Seniors in eine Mischung aus elisabethanischer Mode und Schuluniformen gesteckt.

Elisa hat die Haare streng zurückgebunden mit einem Haarreif, trägt eine graue Weste und eine Pluderhose. Mariahs kurze Haare sind offen und sie trägt ein schwarzes samtschimmerndes Jackett und Leggins im roten Schottenmuster unter der Pluderhose. Auch die Sprache ist eine wilde Mischung, die sich selten an Schillers Verssprache orientiert, aber sonst auch viel Anglizismen und Jugendwörter nutzt.

Drei Personen in Schuluniformen stehen auf einer Bühne, eine hält ein Blatt, die anderen beiden schauen sie an.

Elisa ist die Tochter des Schulleiters und will einfach ihren Platz auf dem Schulhof einnehmen. Foto: Tom Schulze

Theater mit Internet-Humor

Das kann natürlich schnell „cringe“ werden (wenn man dieses Wort überhaupt noch sagen oder in diesem Kontext nutzen darf). Dass das in Leipzig nicht passiert, hat hauptsächlich drei Gründe:

Mit Jugendsprache ist es nämlich nicht leicht. Jedes Jahr lobt der Langenscheidt-Verlag das „Jugendwort des Jahres“ aus, für das Jugendliche nominieren und abstimmen dürfen. Aber: schon wenn diese Begriffe in der Liste stehen, finden sie im Sprachgebrauch eigentlich nicht mehr statt. Aber durch die Nominierung kehren sie wieder in den Sprachgebrauch zurück, in ironischer Form. Sie sind dann eher Memes. Juli Mahid Carly scheint das begriffen zu haben und nutzt die Sprache als humoristisches Mittel, immer ein bisschen drüber und überzeichnet, ohne zum Klamauk zu werden.

Dann nimmt sich das Stück selbst nicht ernst und deswegen auch selbst wahr. So ist es das Hobby der zwei Nebenfiguren Läster und Bully, gespielt von Anna-Lena Zühlke und Philipp Zemmrich, Overvoices zu sprechen, also jenen simplen dramaturgischen Kniff, mit dem im Film Hintergründe vermittelt werden. Außerdem wird im Stück an einem Stück gearbeitet, dass wir so nie zu sehen bekommen (High School Musical et al. lässt grüßen) und zwar die Zehn-Minuten-Version von „Maria Stuart“. Mariah mit H wundert sich da zuweilen schon, warum ihr Leben so genau einem alten Drama von Schiller(-Swift) entspringt.

 

Ein Mann mit umgedrehten Cap und rotem Football-Trikot sing in ein Mikro, eine Person sitzt hinter ihm und schaut ihn begesitert an.

Benjamin Vinnen ist nicht nur Love Interest sondern in Leipzig auch für die Musik verantwortlich. Foto: Tom Schulze

Starkes Ensemble in Leipziger Jugendtheater

Nicht zuletzt lebt der Abend am Theater der Jungen Welt in Leipzig auch vom Ensemble: Die sechs Personen auf der Bühne spielen ihre Rollen leicht übertrieben, um den irrealen Charakter zu betonen, vergessen dabei aber nicht, dass es immer noch um Menschen geht. Millie Vikanis spielt die Elisa als eine Jugendliche, die gerne schon weltmännisch und reif wäre. Josephine Schumann gibt ein rebellische Mariah, die sich gerne als individuell und subversiv versteht. Benjamin Vinnen ist Mortimer Quarterback als oberflächlich-einfältigen Typen, der zu vielen Fitness-Influencern folgt. Und Sonia Abril Romero ist nicht nur eine strenge Lehrerin, sondern noch etwas viel Schlimmeres – ein netter Dreh.

Sie schaffen es, die Figuren, die nicht ihrem Alter entsprechen mit dem richtigen Maß an jugendlicher Energie zu spielen, vor allem wenn sie eigene Versionen von bekannten Popsongs (Musik: Benjamin Vinnen) singen beispielsweise von Taylor (Schiller) Swift oder (Johann Wolfgang) Billie Eilish und dazu Social Media-tauglich tanzen (Choreografie: Sofiia Stasiv). Das alles sorgt für viel Gelächter und gelöste Stimmung.

Zwei Frauen stehen sich gegenüber und schauen sich in die Augen.

Am Ende geht es in Leipzig auch darum, wie wir lieben können und dürfen. Foto: Tom Schulze

Was hat Schiller zu sagen?

Auch in der Leipziger Adaption kommt es zur Hinrichtung, das verspricht ja schon der Titel. Doch ist das dieses Mal nicht das Ende – Mariah lässt sich von einem alten männlichen Autor nicht einfach das Leben nehmen. Viel lieber ruft sie zur Revolution auf. Wegen des veränderten Tempos wirkt das Ende eher wie ein langer Anhang, leider. Mariah macht Elisa klar, dass es vollkommen in Ordnung ist niemanden zu lieben, seinen eigenen Lebensentwurf zu verwirklichen. Die jungen Figuren erklären im Chor, dass sie nun keine Queen mehr brauchen, dass sie alle gemeinsam die Königin sind. Das sind 2024 keine überraschenden Gedanken und Forderungen, doch wenn man an das Wahljahr 2024 (Rechtsruck, Selbstbestimmungsrecht, Abschiebungen) denkt, kann das – gerade für junge Menschen – nicht oft genug gesagt werden.