Der Adressat jedoch – der macht da nicht mit! Er ist inzwischen in lockerer Freizeitkleidung aus der anderen Welt geklettert, erinnert an frühe Vereinbarungen zum letzten Willen und verlangt wie ein außerirdischer Lektor nach den „Geschichten im Kopf“ für die würdigen Verabschiedung. „Schreib, was du weißt“, souffliert er seinem Laudator und stößt damit ein Anekdoten-Roulette auf angeheiterter Melancholie-Basis an. Die bärtige Grundschullehrerin, der magische Buchladen, ein Gruß an Mark Twain, die Entfremdung der erwachsenen Männer und immer wieder ein bisschen Krise. Kreisende Dramolettchen, umstellt vom großen Ganzen, umspült von Klängen eines sanften Rock-Quartetts, das unter der Leitung von Stephan Sieveking am Flügel aus dem Sound-Design des schaumig abhebenden Sprechgesangs mit Cello und Saxofon wunderschöne Soul-Schleifchen entwickelt.
Der personifizierte Tod als mehr oder weniger freundlicher Bote aus dem Jenseits ist in der hohen Literatur, dem tümelnden Volkstheater und dem poetischen Kino gleichermaßen unverzichtbar. Aber wie viel echte Trauerarbeit verträgt ein Musical? Schon die Frage klingt so absurd, dass ein dahinter stehendes Projekt gewissen Vertrauensvorschuss verdient. Im glitzernden Genre der segelnden Emotionen, wo sich auf internationaler Ebene immer mal wieder der Ehrgeiz regt, die allzu bekannten Folien der Show-Standards zu durchbrechen, landet man meist in Gedenken an Stephen Sondheim, dem literarischen Widerstandskämpfer gegen den Bonbon-Zwang. Da könnte man auch bei Komponist Neil Bartram, weniger bei Texter Brian Hill Anknüpfungspunkte finden. Aber ein Stück, das in aller Besetzungs-Bescheidenheit mit zwei (noch dazu keineswegs erotisch verbundenen) Herren auskommt, beim Entwurf einer Trauerrede ansetzt und dabei vom britisch schwarzen Humor letztlich nichts wissen will, bleibt doch Sonderfall durch und durch. Das 2006 in Toronto uraufgeführte und 2009 mit kurzer Laufzeit am Broadway aufgetauchte Kammermusical hat denn auch eine besondere Karriere: Es erreichte seine stärkste Durchschlagskraft in Korea, wo man sogar einen Film daraus machte.
Zum zweiten Anlauf im deutschsprachigen Raum (eine andere Version in Wien blieb weitgehend ohne Folgen) kam es jetzt, weil die beiden Musical-Größen Thomas Borchert und Jerry Marwig Eigenbedarf anmeldeten, auch selber die neue deutsche Fassung im Duo erstellten, und an Werner Müllers Fürther Stadttheater damit offene Türen einrannten. Borchert bereitet dort grade die zweite Serie als singender „Rebell Gottes“ im Luther-Musical zum Jubiläumsjahr vor und hat als „charismatischer“ Grabredner mit Ladehemmung ein weites Feld, sein Talent auszukosten. Jerry Marwig, der den lästernden Freigeist aus dem verstaubten Buchladen zum komödiantischen Gegenbild ausbaut, umkreist und umarmt zugleich. Zwei Könner in Rampen-Aktion. Die Inszenierung von Martin Maria Blau will sich da nicht vordrängen, sie beschränkt die Eigendynamik auf Schneegestöber aus der gleichen Luke, aus der am Ende auch die Manuskriptblätter flattern, und rückt die Band im Hintergrund allmählich so weit aus der Sichtlinie, dass zum Finale nur noch Sieveking am Flügel hämmert. Die geradezu versonnen philosophierend angelegte Musik von Neil Bartram, die dem abspringenden Wort eben nur manchmal Flügel verleiht, ist mehr an atmosphärischen Skizzen als an Song-Ausbrüchen interessiert, verzichtet aber keineswegs auf die triumphale Vorlage von Effekten. Wenn Thomas Borchert in explodierender Poeten-Energie das Naturereignis „Schmetterling“ mit voll ausgefahrener Stimme besingt, weiß man, warum das Tier so heißt. Man möchte fast drüber vergessen, den erheblichen Kitsch-Anteil in der Basis-Story zu bemängeln.
Herzergreifend kann die Aufführung, die des Fürther Theaters besondere Kompetenz für den etwas anderen Musical-Geschmack nachdrücklich bestätigt, schwerlich sein, aber herzerwärmend wirkte sie offenkundig. So schnell wie hier springt das Publikum sonst nirgends vom Sitz – kaum Blackout, schon Standing Ovations.