"Bombe!" am DT Göttingen

Lachen mit Denkanreiz

Abdul Abbasi/Philipp Löhle: Bombe!

Theater:Deutsches Theater Göttingen, Premiere:13.03.2020 (UA)Regie:Philipp Löhle

Göttingen. Flüchtlingsschicksale. Das hätte ein Betroffenheitsstück werden können mit realistischen Konflikten in Studi-WG und Migrationsamt oder so ein furchtbares sogenanntes Dokumentartheater, wo einem ständig Fakten und Statements mit anklagender Stoßrichtung aufgesagt werden, ohne dass sich theatral überhaupt was tut. Aber Göttingens Deutsches Theater macht „Bombe!“, und das ist gehobene Migrations-Comedy mit super-flockig pointierten Spielszenen und trotzdem viel, sogar wohltuend vielfältigen Informationen. Eineinhalb Stunden Unterhaltung mit Haltung, wie die Uraufführung am Freitag kurz vor der Corona-Schließung zeigte.

Anregungen für „Bombe!“ lieferte die Biografie von Abdul Abbasi, dem populären Youtuber und Extra3-Talkgast, der einst aus Aleppo geflohen ist und nun in Göttingen Zahnmedizin studiert. In seinem Buch „Eingedeutscht“ hat Abbasi seine Integrations-Erlebnisse bereits humorvoll verarbeitet und nun zusammen mit dem bekannten Theaterautor Philipp Löhle ein Stück daraus gemacht. Löhle hat das im DT2 mit vier Schauspielern, die ständig ihre Rollen wechseln, auch flott inszeniert.

Lassen wir mal die ersten Minuten nerviger Publikumsbeteiligung weg, wenn die Zuschauer nach der (gespielten) „Sicherheitskontrolle“ am Einlass arabische Freudenrufe einstudieren. Aber zwischen Flughafenwartesitzen und gesprengter Hauswand geht es dann schnell ins direkte Spiel. Da wird der Syrer Nasim (Abbasis Bühnen-Alter-Ego) von den naiven Gaben der Willkommensbewegung überwältigt, die in ihren Vorurteilen darüber, wie man Geflüchtete beglücken könnte, fast ebenso rassistisch sind wie der dröge Amtmann vom Bamf, der nachher per Live-Video im Bundesadler erscheint. Der bereits völlig westlichen Zivilisationsstandards entsprechende Oberschicht-Syrer wird da auch von den Multikultis erstmal zum Folklore-Flüchtling zurückgestuft. Bunte Gewänder, Bart – seine Offenherzigkeit kann man jedenfalls erst beweisen, wenn der Fremde auch klischeegerecht fremd aussieht. Und der Beamte kann nicht fassen, dass der Syrer kein Asyl will, sondern eine Aufenthaltsgenehmigung als Student hat.

Und das hat Vorgeschichten, die ohne viel Requisiten auf der Einheitsbühne improvisiert werden. Nasim, der „Nieder mit Assad“ auf seinen Unterarm tätowiert hat. Ein Freund, der meint, wenn man nichts Systemkritisches tut, könne man besser leben. Und dann findet er Leichenteile in seinem Mülleimer. In Istanbul wohnt Nasim mit zehn Mitbewohnern in einem Zimmer und muss beten. Mit Englisch-Übersetzungen für die schwedische Botschaft verdient er sich das fürs Studium benötigte Geld, aber die Behörde macht daraus einen regulären Job, und den darf er als Flüchtling in der Türkei nicht annehmen. Bekommt aber einen Studienplatz an der TU Clausthal. Die ehrwürdige einstige Berg-Akademie im Oberharz findet man im berühmten Uni-Standort Göttingen per se lustig.

In Göttingen lernt Nasim Deutsch bei einer lesbischen Lehrerin. Seine eigenen einstigen Vorurteile hat Abbasi in die Figur eines syrischen Kumpels ausgelagert, der schon nichts von unverschleierten Frauen, noch weniger aber von Schwulen hält. Es ist gut, dass Abbasi damit auch die Intoleranz mancher Einwanderer anspricht – und dass er ihr mit Verfassungspatriotismus und einem ehrlichen Gefühl begegnet: „Das ist Freiheit eben“, strahlt Nasim.

Der Bruder seiner deutschen Freundin wird ihm noch mehr solcher verfassungsfeindlicher Fakten über Flüchtlinge entgegenbrüllen, vor allem Terrorakte und Vergewaltigungen. Demütigend, wie Nasim demgegenüber immer nur seine Individualität betonen kann: „Ich bin kein Vergewaltiger.“ So naheliegend wie entwaffnend die Pointe, dass man sich als Deutscher auch nicht ständig verantworten wollen muss für Anschläge auf Synagogen oder Shisha-Cafés. Und Abbasi von Medien nicht immer dann befragt werden will, wenn irgendwas mit Islam oder Integrationsproblemen anliegt.

Im Stück ist jeder mal Nasim. Und alle anderen. Roman Majewski begeistert als unendlich positiver Deutschlandentdecker Nasim und dann als belfernder Deutscher. Gaia Vogel muss sich als seine Tusse, die am Handy die Zahlen für Straftaten durch Flüchtlinge aufrufen soll, ganz schön wegducken. Und rattert vorher im Amt virtuos die Asylparagrafen runter. Marius Ahrendt gibt draufgängerisch Nasim als Rebell von Aleppo, während Marie Seiser den angepassten Freund spielt. Alle vier überzeugen in ihren Verwandlungen und setzen sichere Pointen. 

Über den Humor wird übrigens auch gestritten. Nasim bekommt in jeder Szene, wenn er sich als Syrer aus Aleppo outet, zu hören: „Haste ne Bombe dabei?“ Ging Abbasi auch so. Und irgendwann fand er’s nicht mehr komisch. Dann machte er in seiner Facebook-Gruppe den Witz: „Hey, ich bombardiere morgen das Klinikum – Oh sorry, falsche Gruppe.“ Das ergab dann einen Polizeieinsatz, obwohl diese Witzform, in einer Gruppe etwas Anstößiges als Fehlläufer einer anderen Gruppe auszugeben, bekannt ist. Die Bombe, die im Deutschen Theater am Ende in Form eines Gummiballons aufgeblasen wird, geht dann jedenfalls nicht mehr hoch. Aber vorher haben die Texte schon gut gezündet: Lachen mit Denkanreiz, ein auf deutschen Bühnen selten gewordenes Format.