"Through Roses"-Premiere in der Staatsoper im Schillertheater

Kunsthandwerkliche Harmlosigkeiten

Marc Neikrug: Through Roses

Theater:Staatsoper im Schillertheater, Premiere:13.02.2015Regie:Neco ÇelikMusikalische Leitung:Felix Krieger

Kürzlich haben sich der deutsche und der französische Verlag des erfolgreichen englischen Schriftstellers Martin Amis dagegen verwahrt, dessen neuestes Buch „The Zone of Interest“ in den jeweiligen Übersetzungen herauszubringen: Es handelt sich um einen Auschwitz-Roman, der auch satirische Töne anschlägt. Es gab Kritiker, die das Buch als geschmacklos bezeichneten, als unstatthafte Ausbeutung eines Themas von überwältigender Größe. Martin Amis selbst reagierte auf die Kritik mit der Frage: „Wann ist ein Thema so heikel, dass man nicht darüber schreiben kann?“ Und natürlich würde er diese Frage dahingehend beantworten, dass es so ein Thema nicht gibt.

Auschwitz aber könnte so ein Thema sein, und zumindest Nachgeborene, die nicht das authentische Erleben als Movens für ihr Tun anführen können, begeben sich mit der künstlerischen – und somit: nicht-dokumentarischen – Auseinandersetzung mit der Shoah auf ein äußerst unsicheres Terrain. Zwar ist es ein mehr als legitimes aufklärerisches Bedürfnis, das Grauen von Auschwitz als immerwährende Mahnung präsent zu halten, und hier mögen künstlerische Produkte ein anderes Publikum ansprechen als trockene Dokumentationen; auf der anderen Seite aber haftet bei der schier erdrückenden Ungeheuerlichkeit des Faktischen jeglicher Einfühlung in die Opfer etwas Anmaßendes an, und jeder Nachahmung des Schreckens etwas Voyeuristisches, ja Obszönes.

Trotzdem hat sich der Komponist und Musiker Marc Neikrug in den Jahren 1979/80 an ein Musiktheaterwerk über Auschwitz gewagt: „Through Roses“ für einen Schauspieler und acht Instrumente – und der Erfolg, den das nur 45 Minuten dauernde Stück im Anschluss an seine Londoner Uraufführung rasch erzielte, scheint ihm Recht zu geben. Doch es sei die ketzerische Frage erlaubt, ob dieser Erfolg nicht vor allem auf die leichte Realisierbarkeit des Werks zurückzuführen ist – ein Opernhaus kann sich kaum einfacher des Kulturauftrags, auch zeitgenössische Stücke im Spielplan zu halten, entledigen als mit „Through Roses“, und es hat dann auch gleich noch einen großen Stoff im Programm.

Bei der Neuinszenierung des Stückes in der Schiller Theater Werkstatt, der derzeitigen kleinen Nebenspielstätte der Staatsoper Berlin, macht „Through Roses“ jedenfalls einen eher simplen – und damit eben auch einen die Größe des Stoffes simplifizierenden – Eindruck. Streng dem psychologischen Lehrbuch folgend, durchleidet darin ein Geiger, der den Gräueln der Lager entkommen ist, seine traumatischen Erlebnisse immer wieder von Neuem, ausgelöst von bestimmten Schlüsselreizen: von einzelnen Wörtern oder Musik. Die Erinnerungssplitter des Textes finden in der Komposition ihre Entsprechung: Neikrug zitiert ausgiebig in unterschiedlichen Verzerrungsgraden Musik der deutschen Tradition, die auch die Musik der Täter war: von Haydns „Kaiserquartett“ über „Tristan und Isolde“ bis zur g-Moll-Violinsonate von Bach. Und ja, es lässt erschaudern, dass diese zutiefst humane Musik auch in den Konzentrationslagern präsent war. Die bloße Dichotomie von Schönheit und Schrecken, auf die Neikrug hier vertraut, wirkt indes schlicht unterkomplex.

Die Inszenierung von Neco Çelik hilft da ebenfalls nicht weiter, im Gegenteil: Dass das Publikum zu Beginn den Zuschauerraum nicht durch eine Tür betritt, sondern gebückt durch eine einem Bergbauschacht nachempfundene Öffnung über schwarzen Schotter schlüpfen muss, darf man getrost als Ausstattungssünde der naivsten Art bezeichnen (Bühne: Stephan von Wedel) – als Erlebnispark eignet sich das Thema Auschwitz nun wirklich nicht (auch wenn hier wohl nur das Eintauchen in das Bergwerk der Erinnerung gemeint ist). An der gegenüberliegenden Wand findet der Schacht übrigens seine Fortsetzung – die zwei Albtraum-Mädchen aus Stanley Kubricks Stephen-King-Verfilmung „Shining“ stehen darin: Auch dieses Horrorfilm-Zitat wirkt hier reichlich deplatziert.

Der große Schauspieler Udo Samel stellt den Geiger dar: Erzählt er vom Marschieren und erklingt in der Flöte Marschmusik, marschiert er. Wird er gedemütigt, kriecht er. Ergreift ihn in der Erinnerung der Schrecken, befallen Zuckungen sein Gesicht. Und ab und an greift er zornig nach den an Ketten von der Decke herabhängenden dunkelgrauen Aufseher-Mänteln. Wäre da nicht die unabweisbare Autorität von Samels Diktion, man könnte an der inszenatorischen Treuherzigkeit dieses Abends verzweifeln. Ja, Auschwitz ist ein heikles Thema für die Kunst: zu heikel zumindest für kunsthandwerkliche Harmlosigkeiten.