Ben van Beelen in „Bossa Nova“

Kulturelle Hybridität

Jonathan dos Santos, Kristian Lever: Bossa Nova

Theater:Landestheater Salzburg, Premiere:02.05.2025 (UA)

Ein Stück Rio de Janeiro mitten in Salzburg – genau das verspricht der Ballettabend im Probenzentrum Aigen und hält es auch. Farblich abgeklärt und schrill, tänzerisch nahbar und klar.

Das Landestheater Salzburg bringt seinem Ballettdirektor Reginaldo Oliveira, ausgebildet in Rio de Janeiro und später Solist am Theatro Municipal do Rio de Janeiro, gewissermaßen ein Stück Vergangenheit. In Salzburg trägt er dazu bei, dass auf der Bühne über den kulturellen Tellerrand geblickt wird. So formen die Choreografen Jonathan dos Santos und Kristian Lever mit „Bossa Nova“ einen eineinhalbstündigen Zweiteiler ganz im Sinne Oliveiras. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigt.

Farbe als historische Referenz

Spätestens beim Einsetzen von Lisa Onos „Garota de Ipanema“ wird klar, dass das hier kein klassisches Ballett wird. Kostüm‑ und Bühnenbildner Sascha Thomsen knüpft mit einer Erinnerung an das Color‑Blocking der späten Fünfziger und Sechziger an, in denen sich der Abend abspielen soll: klare Farbblöcke, scharf getrennte Flächen, ein Augenzwinkern Richtung Mondrian Kleid von Yves Saint Laurent. Die Entstehung der Bossa Nova Ende der 1950er‑Jahre in der Copacabana‑Sackgasse Beco das Garrafas und der gleichzeitige Design‑Hype in den 1960ern treffen sich auf einem Punkt: urbaner Modernismus, kosmopolitische Mittelschicht und das Bedürfnis nach leichter Eleganz. Beides entstanden im ähnlich modernistischen Klima, leben von Reduktion, klaren Formen und überraschenden Farbkombinationen.

Ballettensemble Bossa Nova

Ballettensemble im ersten Teil. Foto: Christian Krautzberger

Im ersten Teil führt der Brasilianer dos Santos – mit der Bossa Nova großgeworden – das Publikum behutsam und ganz ohne Aufdringlichkeit in seine Klang‑ und Bewegungswelt ein. Auf eine kurze Gruppenszene bilden sich Paare heraus, die einander vorsichtig die Hände reichen. Je vertrauter sie werden, desto mehr geschieht in direktem Körperkontakt – geschmeidige Spazierschritte, sanfte Hebungen, ausladende Armkreise. Zu Sambarhythmen, die von US‑Jazz‑Akzenten und lässigem Groove durchzogen sind, wird das klassische Ballettvokabular zur gemeinsamen Sache – mal im exakten Gleichklang, mal als leises Echo. Die Ballettsprache wird hier nicht strikt durchgezogen, sondern dient eher als Merkmal der Wiedererkennung statt als Regelwerk – aber genau diese Lockerheit trägt die gewünschte Bühnenatmosphäre.

Die Körper wiegen konstant im Bossa‑Rhythmus, während Finger und Handflächen Kurzgeschichten zeichnen. Die Bühne umrandet von riesigen schwarz‑weißen Wänden mit Wellenmuster – ein ruhiger Kontrapunkt, der an die Pflasterung der Copacabana erinnert. Über der Bühne schweben große Lichtkugeln, die behutsam ihre Farben wechseln: warmes Orange‑Rot hüllt die Szene in nächtliche Stimmung, klares Weiß lässt den Tag anbrechen. Wochen vergehen und Nostalgie macht sich breit, als sich das gesamte Ensemble auf den Bühnenrand setzt und gemeinsam mit dem Publikum Probeausschnitte der vergangenen Wochen anschaut.

Valbona-Bushkola Hebung in „Bossa Nova“

Valbona Bushkola Hebung in „Bossa Nova“. Foto: Christian Krautzberger

Unabhängig klar

Wer denkt, dass die Szenerie zurückgenommen bleibt, täuscht sich. Im zweiten Teil wird deutlich, dass dos Santos und Lever zwei unterschiedliche Handschriften haben. Anders als die vielen kleinen Kurzgeschichten im ersten Teil legt Lever – Finne mit britischen Wurzeln – seiner Choreografie eine Handlung unter. Darin spiegelt er sich selbst als jemand, der erst in die Kunstform Bossa Nova hineinfindet. Eine junge Tänzerin (Valbona Bushkola) trennt sich von ihrem Partner, steigt niedergeschlagen in einen Aufzug, während „Take On Me“ von a‑ha erklingt und landet in einer Traumwelt-Disco, in der Bossa Nova gelebt wird. Ihr panisches Atmen wird vom Rhythmus aufgefangen; die Angst fällt ab.

Die neue Welt wirkt überaus authentisch und passt ins Konzept, ganz im Stile einer 70er‑Jahre‑Lounge: lange Samtvorhänge, ein leuchtendes EXIT‑Schild, Retro-Automat, orangene Kunststoff‑Sitzbänke und Nebel legt sich wie Club‑Dunst in den Raum. Sie versucht mitzutanzen, Spaß zu haben, bleibt jedoch für die anderen Tänzer:innen unsichtbar. Szene für Szene hält sie durch, bis sie am Ende an ihrem eigentlichen Ziel ankommt – dem Bahnhof –, wo sie unerwartet auf ihren Partner trifft. Die beiden tanzen ein letztes, leises Duett, bevor sie Lebewohl sagen – eine melancholische Note, gelungen vertanzt.

Valbona Bushkola und Qinn Roy in „Bossa Nova“ am Salzburger Landestheater.

Valbona Bushkola und Qinn Roy beim Wiedersehen am Bahnhof. Foto: Christian Krautzberger

Lever geht ehrlich mit sich und dem Thema um und setzt auf Musik, die vielen im Publikum vertraut ist: The Black Eyed Peas singen „Mas Que Nada“, Billie Eilish ihre Radiohymne „Billie Bossa Nova“. Die Bewegungssprache entstammt klar dem zeitgenössischen Tanz: erdig, kaum klassische Elemente, keine Spitze. Tiefe Kniebeugen, seitliches Kippen, Disco‑Posen und Gymnastik‑Figuren lösen die klassische Ordnung fast vollständig auf. Passend zum Ambiente blitzt Klassik nur noch als Zitat auf, bevor sie wieder in bodennahe Gewichtsverlagerungen zerfließt, und es bereitet große Lust, dabei zuzusehen.

Ein gemeinsamer Puls

Das Bühnenklima wirkt eigenständig, findet jedoch über gemeinsame kulturelle Akteure immer wieder zusammen. Insbesondere Brasilien‑Fans kommen auf ihre Kosten: Anekdoten und Verbindungen werden mit spürbarer Liebe zum Detail erzählt. Musikalisch trifft Samba‑Polyrhythmik mit zarten Gitarrenklängen auf jazzige Harmonien – ein bewusstes Nebeneinander klarer Blöcke, das sich auch visuell spiegelt: sauber getrennte Farben und gezielt gesetzte Kontraste verleihen Vertrautem frische Spannung. Wenngleich die Choreografie gelegentlich an Dichte verliert, wird sie vom stimmungsvollen Bühnenbild aufgefangen. Beide Choreografen erzählen ihre Geschichte in klarer Bühnensprache, ohne kryptische Verrenkungen oder falsche Versprechen.

Die Mischung aus Balletttechnik und brasilianischer Leichtigkeit mag zuweilen Reibung erzeugen, doch genau darin steckt der Reiz. „Bossa Nova“ verzichtet auf spektakuläre Effekte und gewinnt dafür mit viel Atmosphäre, die im Salzburger Landestheater stimmig zur Geltung kommt.