Foto: Karlsruhe: Timo Tank und Sina Kießling in "Szenen einer Ehe" © Felix Grünschloß
Text:Eckehard Uhlig, am 28. Oktober 2018
Wenn sie gut gemacht sind, faszinieren Theaterstücke über ehelichen Geschlechterkampf und -krampf (sowie deren Verfilmungen) das Publikum. Warum? Weil man selbst betroffen sein könnte, weil man nach eigenen überlebten Beziehungsverstrickungen seinen Partner bis in den letzten körperlich-erotischen und seelischen Winkel zu kennen glaubt – und doch überhaupt nicht kennt. Als die Fernsehfassung von Ingmar Bergmanns Dialog-Roman „Szenen einer Ehe“ 1973 in Schweden erstmals gesendet wurde, waren die Straßen leergefegt. Auch in Deutschland entwickelte sich das Filmdrama zum Sensationserfolg. 2013 eröffnete Armin Petras seine Stuttgarter Intendanz mit Jan Bosses Inszenierung des Stücks. Das beeindruckte Publikum war aus dem Häuschen. Und wie kommt die Szenenfolge – gewissermaßen ein Inszenierungsdebüt der neuen Schauspieldirektorin Anna Bergmann und ihres propagierten Regie-Feminats – am Badischen Staatstheater in Karlsruhe an? Na ja.
Nach Ingmar Bergmans Konzeption scheinen die Ehepartner zunächst in ruhiger Zweisamkeit aufgehoben, versichern sich ihrer Liebe, Zuwendung, Treue und Tüchtigkeit. Doch unverhofft geht ein Sprung durch ihr sorgfältig aufgebautes Lebensgebäude, das sich als Lebenslüge erweist. Eine existenzielle Kluft tut sich auf: Marianne und Johan versinken in einem Abgrund aus Betrug, Überdruss und unerfüllter Liebessehnsucht. Anna Bergmanns als Stationendrama gegebene Werkstattproduktion, an der pro Aufführung nur jeweils bis zu 50 Besucher teilnehmen können, setzt vor allem auf die schon im Originaltext angelegten komödiantischen Passagen, formt sie aber nur selten in ihrer bedrückenden Weise tragikomisch aus, sondern überführt sie meistens in überhitzten Komödien-Klamauk. Das zeigt sich im Spiel der beiden Kontrahenten: Sina Kießling als Marianne und Timo Tank als Johan benehmen sich an den erschütternden Kulminationspunkten der Handlung wie grell knallige Chargen.
Im Prolog, der Teile aus Bergmanns erster und zweiter Ehe-Szene verarbeitet und im oberen Theaterfoyer stattfindet, albern Marianne und Johan herum, stellen sich als intelligent, erfolgreich, jugendlich und sexy vor. Johan schwadroniert über Frauenrechtlerinnen, die „nicht ganz richtig im Kopfe sind“. Marianne lächelt erheitert dazu: „Es ist ein Glück, dass niemand dich hört.“ Dann begibt sich, von einer Platzanweiserin geführt, das kleine Publikum in die Theaterkatakomben und versammelt sich in einer Requisitenkammer. Hier blödelt er belustigt mit einem aufziehbaren Spielmännchen, dem Bam-Bam-Bobby, während sie einer verbeulten Trompete schräge Töne entlockt. Sollen das belebte Bilder für „Unschuld und aufbrechende Panik“ sein, wie die Szene überschrieben ist? Danach geht’s in eine enge Schauspielergarderobe, wo sich die Zuschauer wie in einer Sardinenbüchse an die Wände drücken müssen, um das Ehepaar bei der Körperpflege beobachten zu dürfen. Im dritten, „Paula“ übertitelten szenischen Abschnitt, der ins kleine Theaterstudio verlegt wird, ist ein richtiges Bühnenbild (von Katharina Falter) zu sehen. Traversen und schwarze Vorhänge bilden einen quadratischen Raum, in dessen Mitte ein breites drehbares Ehebett platziert ist. Auf und neben der Bettstatt finden allerhand Intimitäten statt. Aber Johans unerwartetes Eingeständnis, der zentrale, zentnerschwere Satz, der bei Marianne wie eine Bombe einschlägt und die demütigende Katastrophe auslöst, wird von Timo Tank – wie fast alle todernsten Textpassagen – beiläufig heruntergeschnoddert: „Ich bin heute Abend hergekommen, weil ich mit dir über etwas sprechen will – ich habe mich (in Paula) verliebt.“ In Bergmans Film ist dieser Moment mit höchster Ausdrucksintensität ausgestattet, man spürt und sieht, wie in Mariannes Antwort-Gestammel und Schweigen die Hölle aufreißt. In Karlsruhe bleibt eine Leerstelle zurück, die Kießlings hysterischer Aufschrei („Verdammte Scheiße, zeig mir ihr Foto“) kaum ausfüllt.
Auch in Bergmans Text ist viel von erotischen Bedürfnissen und Praktiken die Rede, zweimal wird Pornografie erwähnt, die in Erregungszustände übergeht. Die Karlsruher Inszenierung, die ganze Textpassagen gestrichen und verändert hat, nimmt sich für sexuelles Handeln, das als Liebesersatz eingesetzt wird, für eine rockig besungene Striptease-Nummer, für Fummel-, Lutsch- und nackte Kopulationssequenzen viel Zeit. Und auch die Sprache wird umgebogen. Den kaum zu überbietenden Beleidigungswörtern, mit denen sich das Paar belegt, wird beispielsweise „Scheiß-Fotze“ hinzugefügt, um ganz dem heutigen Stand sprachlicher Verrohung genügen zu können. Zum besonderen Höhepunkt der Inszenierung verdichtet sich die Prügelei in der fünften Szene („Die Analphabeten“), die im „Ergotti“, dem vom Theater genutzten ehemaligen Möbelkaufhaus, zu dem man eine Straße überqueren muss, aufgeführt wird. Johann und Marianne schlagen sich hasserfüllt und besinnungslos blutig, bis beider Kräfte erschöpft sind. Er tritt sogar auf die am Boden Liegende ein. Das Staatstheater hat dafür eigens einen „Kampfchoreografen“ (Stefan Richter) engagiert, der mit Lust eine regelrechte Orgie an Gewaltausbrüchen zelebriert, die immer wieder neu einsetzt und gefühlte zwanzig Minuten andauert. Die Kostümabteilung dürfte viel Arbeit haben, um Mariannes zerfleddertes Etuikleid für weitere Vorstellungen herzurichten.
Das wieder im Studio gespielte Finale fällt in anderer Weise aus dem Rahmen. Kostümbildnerin Sybille Wallum präsentiert das Paar als fröhliche Hochzeiter – sie im weißen Brautkleid mit glitzerndem Prinzessinnenkrönchen im Haar, ihn im cremefarbigen Partylöwen-Anzug, barfuß allerdings und mit breitkrempigem Country-Hut. Das ebenfalls in Weiß erstrahlende Bett ist jetzt mit Flitterkonfetti übersät und von Luftballons umrahmt. Den Zuschauenden werden gefüllte Sektflöten gereicht. Die beiden Protagonisten begegnen sich – inzwischen jeweils mit neuem (unsichtbarem) Partner liiert – locker entspannt, gesprächig und aufgeräumt. Sina Kießling und Timo Tank absolvieren in der eher harmlosen Hommage auf den berühmten Regisseur Bergman, der heuer hundert Jahre alt geworden wäre, ein schweißtreibendes, schauspielerisch forderndes Pensum. Aus den messerscharfen Bergman-Dialogen und schneidenden Überraschungspointen sind jedoch Floskeln geworden. Aus der Szenenfolge über zwei Verzweifelte, die sich in ihrer Ehe aufreiben und schlussendlich vielleicht eine neue Form freundschaftlicher Beziehung finden, werden zwei sexbesessen tobende, dummes Zeug redende Zeitgenossen.