Der Menschenfeind (Heimo Essl) aus Ferdinand Raimunds Märchenspiel randaliert am Staatstheater Nürnberg.

Komisches Märchenspiel

Ferdinand Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:11.02.2012Regie:Georg Schmiedleitner

Vor der Premiere bot Regisseur Georg Schmiedleitner eine übermütige Wette an: In absehbarer Zeit werde dieses in Deutschland kaum noch aufgeführte Wiener Zauberspiel von Ferdinand Raimund ins Repertoire zurückkehren, und zwar geradezu zwangsläufig bei Martin Kusej in München. Es sei ein Stück voller unentdeckter Abgründe. Interessante Theorie zur überraschenden Produktion. Denn der österreichische Regisseur, der in Nürnberg seit 2001 bereits 17 Inszenierungen lieferte und so etwas wie die amtierende „Aufreger“-Marke des Staatstheaters ist, hat eher mit Schillers „Die Räuber“ und der „Orestie“ sein Profil geschärft. Andererseits liegt sein „Alpenkönig und Menschenfeind“ im persönlichen Terminkalender stilistisch günstig zwischen den Wiener Josefstadt-Premieren von „Lumpazivagabundus“ und „Kasimir und Karoline“.

So dramatisch hat Raimunds Posse von „Alpenkönig und Menschenfeind“ wohl noch nie begonnen: Eine Mauer stürzt ein, eine Seilbahn stürzt ab. Aber die zwei komischen Figuren, die da als überirdische Königsboten des Freiluft-Herrschers Astragalus aus den Trümmern klettern, sagen nur „Hoppla“ und die weißen Quader ergeben im Häufchen das wilde Gebirgs-Panorama für ein Albtraum-Reich auf Abruf. So gelassen sehen die Menschen ihre Katastrophen naturgemäß nicht. In Georg Schmiedleitners auf Comeback gepolter Inszenierung wird die Hypo Alpe Adria samt der ganzen wankenden Finanzwelt herbeizitiert und in schönster Satire-Logik abgehandelt: „Fast hätten wir die Bank saniert gehabt, wenn wir nicht gescheitert wären“. Womit die Nürnberger Neuinszenierung, knapp fünfzig Jahre nach der letzten dort am Schauspielhaus, stabil zwischen den Fronten positioniert wäre. Nostalgischer Schmäh und ätzender Witz werden als bunte Kette über die Zeitlosigkeit geworfen. Die menschlichen Abgründe, die der Regisseur ausloten wollte, sind freilich nur Fallgruben – gut gepolstert mit aufblasbaren Pointen.

Der sagenumwobene Alpenkönig, von Christian Taubenheim mit eisigem Blick und güldener Pappkrone ausgestattet, will nur ein wenig mit seinem Ruf als Schreckgespenst spielen. In Wirklichkeit hilft er zerrütteten Familien beim Sturz solcher Haustyrannen wie dem reichen Herrn Rappelkopf. Das ist ein wutschnaubender Sonderling mit Generalverdacht gegen jedermann, voller Angst um Geld und Leben. Heimo Essl spielt ihn mit der lauernden Unverschämtheit des Mächtigen, lenkt den Salon-Borderliner wie eine Dampfwalze über alle Gefühlsregungen hinweg. Frau, Tochter, Schwiegersohn und Dienerschaft sind einfach platt. Da müssen höhere Mächte ran. Also lässt der Alpenkönig den Menschenfeind ins eigene Spiegelbild schauen. Er tauscht mit ihm die Rollen und gibt nicht eher Ruhe, bis es dem Rappelkopf vor sich selbst graust. Danach kann der pensionierte Grantler auf emotionale Rendite warten.

Raimunds „romantisch-komisches Original-Zauberspiel“ hat nicht den aufsässigen Parodie-Humor von Johann Nestroy, denn dem Autor stand bei aller operettenseligen Kalauer-Freude der Sinn nach höherer Naivität. Georg Schmiedleitner sucht in diesem Geflecht von Poesie und Schwadroniererei etwas zu schnell den scharfen Ton, der den Schmerzpunkt der Erheiterung wach kitzelt. Das ist im Gemenge von Dialog-Geschossen und Frontal-Reimen (Waidmannslust auf Jägersbrust) gar nicht so einfach, gelingt aber mit anhaltender Lust am komödiantischen Detail bei allen Darstellern erfreulich oft. Wenn etwa der Kleinkrieg der Dienerschaft (Julia Bartolome als giftspritzend krähendes Stubenmädchen und Pius Maria Cüppers in der minderwertigkeitskomplexen Pose des „zwei Jahre in Paris gewesenen“ Butlers sind eine Wonne) wortgewaltig ausbricht, könnte das auch ein Casting fürs „Unterschichten-Fernsehen“ sein. Was freilich auch das Maß der Glaubwürdigkeit dieses Bühnen-Personals widerspiegelt.

Den tätschelnden Trost von Couplets gibt es nicht in dieser Inszenierung, die ihre Grundsatz-Radikalität nicht einseifen lassen möchte, dafür Soundtrack nach Maß: Bettina Ostermeier und Paul E. Braun ziehen als lebende Tonspur mit Quetsche und E-Gitarre zielsicher durchs Spektakel und lassen die Tuba tuten als ob Siegfrieds Drache gleich um die Gebirgs-Ecke biegen würde. Das ganze Ensemble (mit Nicola Lembach, Anna Keil, Philipp Weigand, Daniel Scholz, Tanja Kübler und Thomas L. Dietz) findet im offenen, für schwindelerregende Luftsprünge aufgeschlossenen Bühnenbild von Florian Parbs entspannt zum wienerisch aromatisierten Tonfall, der geradezu eine Hommage ans Original ist. Am Ende bekommt der Rappelkopf sogar das verloren geglaubte Geld von der Bank zurück. Man hat es schon während der Aufführung allen Schmiedleitner-Aktionen trotzend geahnt und weiß es nun ganz sicher: Es ist halt doch ein Märchen.

Der Beifall war groß, man amüsierte sich über alle Attacken hinweg köstlich. Bis zu Martin Kusejs Zugriff könnte es also noch etwas dauern.