Komische Oper Berlin Messeschlager Gisela DDR Operette

Ausgrabung mit Kult-Potenzial

Gerd Natschinski: Messeschlager Gisela

Theater:Komische Oper Berlin, Premiere:08.06.2024Regie:Axel Ranisch Musikalische Leitung:Adam Benzwi

Die Komische Oper Berlin holt die DDR-Operette „Messeschlager Gisela“ hervor. Zur Musik von Gerd Natschinski und in der Inszenierung von Axel Ranisch entsteht ein heiterer DDR-Musiktheaterabend. Griffe in den aktuellen Zeitgeist bleiben nicht aus.

Wenn jetzt an der Komischen Oper davon geredet wird, raus in die Stadt und hinein in die Kieze zu gehen, ist das im Moment nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch ganz wörtlich gemeint. Man ist eh provisorisch im Schillertheater, solange im Stammhaus in der Behrenstraße gebaut wird. Jetzt aber hat sich die Komische Oper vor dem Roten Rathaus niedergelassen. In einem charmant prächtigen Spiegelzelt mit 750 Plätzen. Dass die Stadtobrigkeit damit so ganz nebenbei an eine der offenen Baustellen erinnert, ist ein hübscher Nebeneffekt. 

Der Hauptzweck des Zeltes aber ist das, was in den letzten Jahren, vor allem dank Barrie Kosky, geradezu zum Markenzeichen dieses Hauses avancierte, nämlich die Pflege der Operette. Vor allem durch die Wiederentdeckung von Werken dieses Genres, die aus verschiedenen Gründen dem Repertoire abhanden gekommen sind. 

Wiederentdeckung DDR-Operette

Und da ist jetzt eins der Prunkstücke der DDR-Operette an der Reihe. Es ist der 1960 im Metropoltheater in Ostberlin uraufgeführte „Messeschlager Gisela“. Die Musik stammt vom unbestrittenen König der DDR-Operette Gerd Natschinski (1928-2015), das Libretto von Jo Schulz, die Inspiration dazu von der realsozialistischen Modebranche und dem Weltoffenheitsmythos der Leipziger Messe. Im Programmheft gibt es ein Glossar mit Vokabeln aus dem DDR-deutschen Wortschatz. Von Agitation und Bitterfelder Weg über Kombinat und Konsum bis Wandzeitung und Wurstgulasch mit Letscho. Für die Ostberliner Stammgäste der älteren Jahrgänge ist das nicht gedacht, für alle anderen eine nette Geste. Der Begriff „Heiteres Musiktheater“, um nur nicht Operette oder Musical zu sagen, hätte da auch noch reingepasst. Inhaltlich trifft er aber, was er meint. Die meisten Exemplare dieses Genres haben gegenüber der West-Konkurrenz aus der Entstehungszeit obendrein den Vorzug, dass die etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. 

Das Modekombinat „VEB Berliner Schick“ steht unter Planerfüllungsdruck. Außerdem erfordert die Leipziger Messe eine neue Kollektion. Mit Robert Kuckuck steht die personifizierte Inkompetenz als Chef und Designer an der Spitze des Betriebes. Marghueritta Kulicke ist seine karriere- aber nicht unbedingt arbeitssüchtige attraktive Sekretärin. Zupackende Frauen wie Produktionsleiterin Emma Puhlmann und die so selbstbewusste wie kreative Modegestalterin Gisela Claus halten den Laden aber am laufen und sind in ihrem Job im Zweifel besser als die Männer. Dazu kommt (aus der Rubrik: es hätte sie geben sollen) der investigative NBI-Journalist (Neue Berliner Illustrierte) Fred Funke, der undercover im Kombinat ermittelt und sich in Gisela verliebt. Auf diesem Wegen kommen dann auch Operettenrosen in das DDR-Stück. Im Uraufführungsjahr 1960 gab es auch noch den Gang über die offene Grenze nach Westberlin ins KaDeWe oder eine (wenn auch geplatzte) Dienstreise für den Chef nach Paris, um sich dort inspirieren zu lassen. Im Jahr vor dem Mauerbau ging das noch auf (insgesamt zwei Dutzend) Bühnen der DDR.

Zwischenrufe des Zeitgeistes

Bei Regisseur Axel Ranisch spielt die Show im Prinzip im Entstehungsjahr. Saskia Wunsch hat eine erhöhte runde Spielfläche, die an eine Torte erinnert, ins Zelt gesetzt und die Zuschauer drumherum platziert. Am Ende tritt der genervte und überforderte Robert Kuckuck in die zweite Reihe zurück und nimmt in einem Ausbruch von Frust den Mauerbau vorweg. Auch dass der Fernsehturm, zu dessen Füssen das Spiegelzelt steht, erst noch gebaut wird, erwähnt er. Aber das sind so kleine Zwischenrufe des Zeitgeistes von heute, die passen. Dass aus der Zuschneiderin ein Mann mit dem Spitznamen „Inge“ wird, der ganz selbstverständlich auf der Suche nach einem Mann an seiner Seite ist, macht die DDR dann allerdings doch zu offensichtlich besser als sie war. Auch wenn der Osten hier – wie bei der Emanzipation der Frauen – ausnahmsweise nicht wie in Modefragen dem Westen hinterherhecheln musste.  

Komische Oper Berlin Messeschlager Gisela DDR Operette

Die tortenähnliche Plattform im Zelt. Foto: Jan Windszus Photography

Mit seinem absurden Melone-Modell blamiert sich der Chef jedenfalls bis auf die Knochen. Giselas (tatsächlich) gelungener Entwurf wird zum Triumph, ihr Modell avanciert – wie nicht anders zu erwarten – zum Messeschlager. Im Schwung dieses Happyends finden sich dann, als genreübliche Zugabe auch noch alle Paare. Kuckuck und Emma, Gisela und ihr Journalist (Nico Holonics), die Sekretärin und ihr smarter Multifunktionär Stubnik (Johannes Dunz) und als geschichtskorrigierendes, zeitgeistiges Schmankerl von heute auch noch Hausmeister Priemchen (Martin Reik) und eben der Zuschneider Inge (Theo Rüster). Als Story ist das natürlich auch nicht die Wirklichkeit, schwebt aber (so ähnlich wie Billy Wilders „Eins Zwei Drei“ aus der selben Zeit) wenigstens in deren Sichtweite. 

Musik auf hohem Niveau

Die Musik dagegen ist grandios. Da stimmt alles. Das Tempo und das Timing, die schlagertauglichen Nummern. Alles da und sogar auf Weltniveau, wie es in der DDR immer so schön illusorisch hieß. Und es wird auf dem üblichen Niveau des Hauses von Adam Benzwi von einer Formation des Orchesters der Komischen Oper für das Zelt zündend serviert. Meist als Sieger im Kampf mit den Störgeräuschen von draußen. 

Gisa Flake gibt die Titelrolle nicht nur schauspielerisch überzeugend als Melange aus Original und Sympathieträgerin, sie singt auch noch fabelhaft. Maria-Danaé Bansen stellt sowohl ihre atemberaubende Berliner Schnauze als auch ihr Sexappeal der Sekretärin Kulicke zur Verfügung. Thorsten Merten ist wie geschaffen für diesen Kuckuck, Andreja Schneider ein Musterbeispiel für den dosierten Einsatz eines weiblichen Selbstbewusstseins, wie man es wohl gerne mehr gehabt hätte. 

Was hätte sein können

Nicht nur die Musterexemplare der klassischen Operette haben ja ein besonderes Verhältnis zu der Wirklichkeit, der sie entwachsen sind. Auch bei diesem Prachtstück des Heiteren Musiktheaters der DDR spielt ein Quantum „hätte sein können“ mit. Aber daran erinnert man sich schon, wenn einen die Musik packt. Eines wird nach diesem Abend klar: ein gut gemachter Natschinsky würde jeden Spielplan bereichern. Zumindest für die ostdeutschen Bühnen ist seine Rückkehr, wie überhaupt eine Aufarbeitung des „heiteren Musiktheaters der DDR“, längst überfällig. In Berlin gab es einhelligen Jubel für eine Ausgrabung mit Kult-Potenzial.