Janaceks "Tagebuch eines Verschollenen" im Kölner Kolumba-Museum

Klangräume

Leos Janacek / Gustav Holst: Tagebuch eines Verschollenen / Savitri

Theater:Oper Köln, Premiere:30.05.2015Autor(in) der Vorlage:Mahabharata (Holst)Regie:Béatrice LachausséeMusikalische Leitung:Rainer Mühlbach

Nach fast vier Jahren neigt sich die Interimszeit der Kölner Oper dem Ende zu. Im November soll das alte Haus im neuen Prachtgewand mit Berlioz‘ „Benvenuto Cellini“ glanzvoll wiedereröffnet werden. Mit der letzten Interims-Premiere kehrte man nun bereits ins Heimatviertel zurück, liegt das Kolumba-Museum doch gerade mal einen Steinwurf vom Offenbachplatz entfernt. Die Kombination der selten aufgeführten Stücke lässt sich als Paraphrase des Kölner Opernschicksals der vergangenen Jahre lesen. In Janaceks eigentlich nicht für die Bühne gedachtem Liederzyklus geht es um einen jungen Mann, den die Liebe zu einer Zigeunerin derart überwältigt und überfordert, dass er mit ihr seine Heimat verlässt, während Savitri in Holst gleichnamiger, auf einer Episode des indischen Mahabharata-Epos basierender Kammeroper vom Tod die Rückkehr ihres Mannes ins Leben erzwingt.

Die junge Regisseurin Béatrice Lachaussée bedient diesen Bezug in keiner Weise. Sie konzentriert sich darauf, die Sänger in den außergewöhnlichen Spielräumen zu verankern. Das „Tagebuch eines Verschollenen“ ereignet sich auf den Resten einer karolingischen Basilika im Untergeschoss des erzbischöflichen Kunst-Museums. Die Zuschauer stehen auf dem die Ausgrabung begehbar machenden Steg. Ein mit Vorhängen bespanntes Gestell im Hintergrund ist der Raum der angebeteten Seffka. Adriana Bastidas-Gamboa ist meistens nur als Schattenriss präsent. So dominiert die Musik. John Heuzenroeders prägnanter, entschlossener, gelegentlich auch bewusst den Ohren schmeichelnder Tenor-Ton behauptet sich in der halligen, von Straßenlärm durchzogenen Akustik des archäologischen Raumes, die genau den unerträglich gewordenen Alltag entstehen lässt, dem der ständig Steine von hier nach dort tragende Protagonist zwingend entkommen muss.

In der Pause erklingen Geigentöne. Ein Violinist nimmt das Publikum wie ein Rattenfänger mit sich, entführt es in den zweiten Stock, wo die Ton-Raum-Komposition „Serpentinata“ von Bernhard Leitner das Zentrum der Inszenierung von „Savitri“ bildet. Durch etliche Lautsprecher und Verstärker wird aus dem Raum eine Art überakustisches Milieu. Gleich die einleitenden A-Cappella-Töne des Todes erklingen rätselhaft verzerrt, wie übereinander geschoben. Die Musik von Holst ist tastender Jugendstil, Aufbruch aus der Spätromantik in eine Art raumgreifende Innerlichkeit. Luke Stoker (Tod) und besonders Taejun Sun als sterbender Ehemann mit umwerfend schönem Tenor entstammen dem Kölner Opernstudio und singen beide berauschend. Adriana Bastidas-Gamboa versucht, wo die Akustik es erlaubt, ihren individuell timbrierten, gut fokussierten Mezzo fließen zu lassen, bleibt aber in den hymnischen Aufschwüngen ein wenig sachlich. Wohl auch, weil die Regisseurin auch hier die dramatische Struktur weitgehend an den – durchaus faszinierenden! – Klang im Raum delegiert. Zwar leisten Rainer Mühlbach und seine 12 Musiker Hervorragendes. Dennoch hätte die entscheidende Auseinandersetzung mit dem Tod, der Rückgewinn des Gatten-Lebens eines inszenatorischen Zugriffs bedurft, der über die langsamen, kaum aufeinander bezogenen Bewegungen der Protagonisten hinausgeht.

Als Ganzes betrachtet ist dieser Doppelabend dennoch ein Erfolg. Erneut hat die Kölner Oper einen Ort in der Stadt für das Musiktheater entdeckt und gewonnen, der Unübliches fordert und gestattet, in einer Form, die auf der klassischen Opernbühne kaum möglich ist. Es steht zu hoffen, dass die Heimkehr ins große Haus diese Entdeckerfreude weiter beflügelt.