Foto: "Spiegelgrund" im Parlament Wien © Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/Mike Ranz
Text:Christoph Irrgeher, am 28. Januar 2013
Wer sich politisch nicht nur am Wahlsonntag deklariert, hat gern eine Redewendung auf den Lippen. „Ein Zeichen setzen“: Das ist ein Slogan, der die Zivilgesellschaft bewegt. Das kann aber auch zur Tröstungsformel mutieren. Entsprach eine Kundgebung einmal nicht so ganz den Erwartungen – ein „Zeichen“ hat man dort trotzdem gesetzt. Man muss kein Meistersemantiker sein, um zu wissen: Eine hehre Bedeutung kann sich auch durch ein ungeratenes Symbol vermitteln.
Nun ist ein solcher Kontrast aber manchmal doch problematisch – wenn das „Zeichen“ in eine Form gebettet ist, die ihre eigenen Ansprüche stellt und darum nicht nur ein Trägermedium sein kann: in Form eines Kunstwerks nämlich. Mag dessen Message auch noch so löblich sein: Über die Relevanz des Werks ist damit längst nicht alles gesagt. Und eine solche Diskrepanz machte sich am Freitag recht deutlich bemerkbar, als im österreichischen Parlament Peter Androschs Musiktheater über die Gräuel der NS-Kinder-„Euthanasie“ uraufgeführt wurde.
*Auch Selbstanklage*
Das „Zeichen“ an sich war rühmlich: Barbara Prammer, Präsidentin des Nationalrats, hatte die Produktion der oberösterreichischen Anton Bruckner Privatuniversität eingeladen. Mit einer kurzen Rede begrüßte sie im Historischen Sitzungssaal; eine Hörerschaft aus Politikern, Opern- und Geschichtsinteressierten, auch Schülern füllte die Reihen nahezu lückenlos. Bereits in diesem Moment war ein Staatsakt gelungen, wie er sich zur Würdigung des internationalen Holocaust-Gedenktages geziemt: Am 27. Jänner 1945 war das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit worden. Das Thema der Uraufführung trug dem Anlass klug Rechnung: Im Hitler-Deutschland bedeutete „Euthanasie“ nichts anderes als die Auslöschung von vermeintlich „lebensunwertem Leben“ – und bildete gleichsam die Generalprobe für den Holocaust.
Androsch thematisiert die rund 800 Morde vom „Spiegelgrund“: So heißt seine Oper, und so hieß einst jene „Kinderfachabteilung“, die zur Wiener Pflegeanstalt „Am Steinhof“ (heute: Otto-Wagner-Spital) gehörte. Für Österreich – und seine Gesetzesschmiede – besitzt die damalige Barbarei weiterhin Brisanz: Ein Haupttäter vom „Spiegelgrund“, Heinrich Gross, wurde nie ernsthaft in die Pflicht genommen. Der Arzt, der nach dem Krieg zum gefragten Gerichtsgutachter aufstieg und (auch auf Basis der Gehirne der „Spiegelgrund“-Opfer) etliche Studien publizierte, war in der Causa zum letzten Mal im Jahr 2000 angeklagt. Doch ein zweifelhaftes Gutachten bescheinigte ihm Verhandlungsunfähigkeit wegen Demenz. Vermögend und frei, starb Gross 2005. Drei Jahre zuvor waren die Überreste seiner Opfer in einem Ehrengrab der Stadt Wien bestattet worden. So gesehen ist ein Blick in diesen „Spiegelabgrund“ noch heute kein Routinegedenken, sondern auch Selbstanklage.
*Bestürzend banal*
Der Komponist Peter Androsch, 1963 in Oberösterreich geboren, hat selbst einen Schmerzensbezug zu der NS-Zeit: Sein Urgroßvater wurde im KZ Buchenwald als Polit-Häftling ermordet. „Eine offene Wunde in der Familiengeschichte“, sagt Androsch – und wohl auch ein Grund, warum ihn Nazi-Verbrechen immer wieder zum Notenpapier greifen lassen.
Nur macht Engagement allein leider noch keine Kunst. Und schon gar nicht „Eine Oper“. In dicken Lettern prangte dieser Untertitel auf den Wegweisern und war doch einige Bühnennummern zu groß: Das vokale Personal (drei Sänger und ein Sprecher) verharrte an den Rednerpulten, sieht man von seltenen Ausnahmen ab wie der Niederlegung von Rosen. Dieser Dürftigkeit entsprach das übrige Ideenaufgebot. Wer ein raffiniertes Textbuch erwartet hatte, ward enttäuscht. Zwar ließ Androsch vorab wissen, ihn interessiere die „Kontinuität von Kindesmisshandlungen von der Antike bis heute“. Das Libretto heftet im Wesentlichen dann aber nur drei Plutarch-Zitate (über vermeintlich lebensunwerte Kinder) an Texte zur NS-Zeit. Dazwischen erklang zweimal das Kinderlied „Kommt ein Vogel geflogen“. Die süßliche Variante markierte – ex aequo mit einer an Kunstpausen reichen Text-Rezitation – den Pathostiefpunkt des Abends.
Zwar sollte dessen Klangvokabular auch progressiv anmuten. Es blieb im Verlauf der rund einstündigen Aufführung aber bei einer Anhäufung von Gemeinplätzen. Hier ein Glissando aus der Reihe der acht Instrumentalisten, da eine Aribert-Reimann-Koloratur: Nachweisversuche einer Avanciertheit, während das Werk doch mehrheitlich tonal tönte – und oft bestürzend banal. Die vielen Notenwiederholungen, die dürren Unisoni weisen ihren Schöpfer weder als handwerklich raffiniert noch sonderlich einfallsreich aus. Immerhin: Der glasklare Sopran von Katerina Beranova hat bei diesen kargen Kindertotenliedern doch berührt. Das Publikum spendete danach trotzdem allen Beteiligten warmherzigen Applaus. Im Geiste einer Gedenkveranstaltung war das freilich würdig und recht.
_(Christoph Irrgeher, der Autor dieses Beitrags, ist Redakteur der „Wiener Zeitung“)_