Richard Strauss' "Arabella" in der Bayerischen Staatsoper

Kantiger Expressionismus

Richard Strauss: Arabella

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:06.07.2015Regie:Andreas DresenMusikalische Leitung:Philippe Jordan

Gerade eben hat der ersehnte – und auch schon von Arabella heimlich beobachtete – ebenso schöne wie fremde, aber auch wilde Mann, der seine „eigene Lebensluft“ aus den Wäldern Kroatiens nach Wien mitbrachte, die Frischverlobte in aller Öffentlichkeit der sexuellen Untreue bezichtigt, da erbittet sie spöttisch ein Glas Wasser, wie es als Besiegelung einer Verlobung die Mädchen seines Dorfes aus einer Quelle schöpfen. Doch statt Mandryka dieses Glas zu reichen, schüttet ihm Arabella den Inhalt mit voller Wucht ins Gesicht. Mandryka ist baff erstaunt und möchte schon auf Arabella losgehen, da muss er erfrischt lächeln – und das Publikum ebenso.

Dieser Überraschungsmoment passt als i-Tüpfelchen perfekt zu einer Inszenierung, die den Umschlag einer „lyrischen Komödie“ ins beinahe Tragische sehr leicht und ironisch nimmt, die Duellforderung im dritten Akt und das Gefuchtle mit Pistolen wie Slapstick inszeniert und auch die Titel- und Hauptfigur, um die sich alles dreht, am Ende immer noch kokett Distanz wahren und die Hand gespielt ennerviert an die Schläfe legen lässt, sich scheinbar nur über die Lautstärke des Mannes mokiert und nicht über das, was er sagt, wenn um sie herum schon alles zusammenbricht.

Filmregisseur Andreas Dresen („Als wir träumten“, „Halt auf freier Strecke“, „Whiskey mit Wodka“, „Wolke 9“) lässt im expressionistisch verkanteten schwarzen Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau wie im „Cabinet des Dr. Caligari“ für den ersten Akt auch outriert wie im Stummfilm agieren. Das hat Methode, wirkt aber letztlich wie verstaubte Opernkonvention vergangener Jahrzehnte. Einzig Mandryka darf wohltuend anders sein, braucht nicht die Arme recken, den Kopf verzweifelt in die Hände pressen und sich die Haare raufen. Thomas J. Mayer ist in virilem Aussehen, großer Gestalt und dunklem, aber dennoch höhensicherem Bariton eine ideale Verkörperung dieses erwachsen gewordenen Naturburschen, den schon mal eine Bärin die Rippen zerdrückt. Ebenso Anja Harteros, die die unterkühlte, selbstsichere junge Frau herrlich klar singt und spielt, die weiß, dass sie, um die bankrotte Familie finanziell abzusichern, sich an Faschingsdienstag beim Fiakerball endlich für eine gute Partie entscheiden muss. Weil Mandryka wie ein Märchenprinz hereingeschneit kommt, kann sie ihre drei Verehrer Elemer (jungenhaft dreist mit Kern im lyrischen Tenor: Dean Power), Dominik, verkörpert vom jungen Bariton Andrea Borghini, und Lamoral, den Steven Humes sehr natürlich singt, mit leichter Hand verabschieden. Danach bekommt sie gar nicht mit, wie Mandryka die Szene belauscht, in der die als Junge verkleidete Zdenka (zart burschikos und mit fein leuchtendem Sopranglanz: Hanna Elisabeth Müller) Matteo (Joseph Kaiser mit enormem, jungenhaftem Ungestüm und einer Attacke, die er seinem lyrischen Tenor abtrotzt) vermeintlich den Schlüssel zu Arabellas Zimmer gibt.

Selten hat man Mandrykas Zorn darüber so brachial gesehen. Denn er bedrängt die Fiakermilli (perfekt mit einer Spur Derbheit: Eir Inderhang), die als Domina mit Peitsche mit allen Wassern gewaschen scheint, derart, dass es beinahe zu einer Vergewaltigung kommt, der sie sich in letzter Sekunde entzieht. Im anschließenden Vorspiel zum dritten Akt, das eigentlich die sexuelle Vereinigung von Zdenka und Matteo beschreibt, lässt Dresen das halbnackte männliche wie weibliche Personal, das schon enthemmt miteinander zugange war und nun über dem nackten Oberkörper (Nazi-)Uniformmützen trägt, wild über die kreuzförmige Treppenarchitektur der sich drehenden Bühne jagen: Das ist eine unverhohlene Anspielung auf die sadomasochistische Beziehung eines ehemaligen KZ-Opfers (Charlotte Rampling) zu einem Lagerkommandanten (Dirk Bogarde) im Film „Nachtportier“. Noch immer dominiert Schwarz und weiß, Rot aber wird immer raumgreifender. So sind die Frauen jetzt gekleidet, Waldner trägt rotes Sakko über schwarzem Hemd, Adelaide zumindest roten Seidenschal über weißem Kleid und Arabella später eine leuchtend rote Lederjacke über dem Ballkleid (Kostüme: Sabine Greunig).

Im zweiten und dritten Akt macht das Bühnenbild mit seiner verwirrenden, riesigen Treppenkonstruktion, die die Unbehaustheit der im Hotel lebenden Mensch perfekt spiegelt, Sinn und spitzt auch Dresen glücklicherweise die Personenregie realistisch zu – immer mit mal subtilem, mal drastischem Witz, den nicht nur Kurt Rydl mit polternd wienerisch angehauchtem Bass als Graf Waldner und Doris Soffel, die als seine Frau Adelaide anfangs mit wirren Haaren im Morgenmantel herumschlurft, herrlich auskosten.

Nun durchsetzt Philippe Jordan am Pult des grandios auf Festspielniveau spielenden Staatsorchesters den betörenden, butterweichen Schmelz (vor allem der Streicher) immer wieder mit messerscharfen (Blech-)Bläsereinwürfen, kitzelt er selten in dieser Oper gehörte Dissonanzen und rhythmisch prägnanten Details aus der Musik. Er lässt aber auch immer wieder eine so dichte, plastische (Holzbläser-)Kammermusik hören, wie man es im Nationaltheater – und auch anderswo – bei dieser Oper vielleicht noch nie erlebt hat. Dabei herrscht eine Durchsichtigkeit und oftmals sängerfreundliche Zurückhaltung, dass man von einer Sternstunde sprechen muss. Und einer Ehrenrettung für diese höchst raffinierte Partitur, die anders als der ungleich üppigere „Rosenkavalier“ eine wunderbare, kongeniale Verschmelzung der Finessen des Hofmannsthalschen Textes mit der Musik von Richard Strauss bietet.