„Pressluft“ mit Zenghao Yang, Sebastian Reich und Carmen Yasemin Zehentmeier.

Junges Agitproptheater

Martin Nachbar: Pressluft

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:15.04.2021 (UA)Regie:Martin Nachbar

Kann man die Welt einfach umräumen? Na klar, der Regenwaldklotz kommt in eine Ecke ohne Äxte, das Klötzchen für Wohnen und Heizen findet seinen sparsameren Platz. „Hauptsache, man tut was“ lautet eines von vielen Motti in der neuen Produktion des Jungen Nationaltheaters Mannheim. Zuschauern 12+ wird in nur einer Stunde nah- und beigebracht, was die (Um)Welt ist und wie man sie besser macht. „Pressluft“ hat Choreograf Martin Nachbar sein Stück genannt, denn ohne Atmen geht gar nichts, auch nicht in einer gestreamten Zoom-Konferenz.

Und so sollen denn die 78 Zuschauer an den Bildschirmen, nach den technischen Präliminarien, erst mal die Luft anhalten. Um CO2 zu sparen. Dann dürfen sie noch wählen, ob „Pressluft“ unter Wasser oder im Weltall spielen soll. Das Wasser gewinnt – und bald schwimmt ein Fisch durchs Monitor-Aquarium. Da sind Publikum und Kameras dann schon auf der abstrakt gestalteten Bühne (Ausstattung: Michiel Keuper, Martin Sieweke) mit Bildschirm, Leinwand und allerlei Klötzen.

Für Carmen Yasemin Zehentmeier und Sebastian Reich, die Hauptakteure, heißt es hier „Arme hoch = Einatmen“, „Arme runter = Ausatmen“, fünfmal, bis das Atmen auch wirklich sitzt. Das braucht man für die Stimme und für den Protest und den gibt es reichlich. Schon geht es in den Regenwald („Es war einmal ein Wald“, spricht’s aus dem Off), wo Kolibris hüpfen, Käfer sausen, Ameisen wuseln. Erst pflügen die beiden Schauspieler mit weichen Schritten durchs Gehölz, dann, wenn im „Hüter der Welt“ geholzt wird, fallen sie mit kurzen, aggressiven Bewegungen und rappeln sich wieder auf, atmen schwer. Zu ihnen gesellt sich noch Zenghao Yang, per Monitor aus Shanghai zugespielt – Einreisesperre –, der knochentrocken wie der tägliche Fernsehvirologe die Klimafakten auf Mannheim runterbricht. Und so muss Sebastian Reich eben „Torte“ machen: mit lauter „Hmmms“ die luftverseuchte Stimme reinigen.

Was Martin Nachbar und sein Team hier gekonnt machen, ist klassisches Agitprop, auf 12-Jährige runtergedimmt. Überrumpeln, überreden, überzeugen: Da dürfen weder Greta und ihr „Skolstrejk“ noch böse Politiker und Industrien, weder Plakate („Oma, was ist ein Schneemann?“) noch Anweisungen („reparieren statt kaufen“) fehlen. Als „Experten“ ziehen Zehentmeier (schnelles Sprechen, aufgeregte Gestik) und Sebastian Reich (geht es eher bedächtig an) weiße Kittel an und streiten mimisch-flüsternd.

Dass Mädchen sich nichts bieten und sagen lassen sollen („Wo sind denn die Checkerinnen?“), passt auch noch rein, Pandemie, Bundestagswahl und genderkorrektes „RednerInnenpult“ ebenfalls. Die Texte (Autoren werden nicht genannt) sind manchmal unbeholfen, aber zielführend, Song- und hallende Musikfetzen tropfen ins Stück, Fakten prasseln. Nur der Tanz, die Bewegung, Basis dieser Erkundung, kommen etwas zu kurz. Aber gegen Ende der Lehrstunde marschiert Zehentmeier mit gereckter Faust, Reich strahlt mit immerhin erhobenen Armen. Wenn die Welt aufgeräumt ist, strahlt sogar das Bühnenlicht wie Sterne. „Pressluft“ ist kein Mitmach-, aber ein Mitnehmstück, auf dass es bald „Friday, Monday, Tuesday…“ heiße – „na aber so was von“.