Camila Ribero-Souza und Anne Ellersiek

Jung muss das Fleisch sein

Adam Gorb: Anya 17

Theater:Südthüringisches Staatstheater Meiningen, Premiere:28.11.2013 (UA)Regie:Mareike ZimmermannMusikalische Leitung:Leo McFall

Kein Sekt an diesem Abend, auch kein Premierengeschnatter. Nur Betroffenheit. Und Stille. Dann Applaus, tosend laut nach siebzig Minuten Schweigen. Kein üblicher Opernabend in Meiningens Kammerspielen, aus vielen Gründen nicht. Das Motiv ist zwar kein ungewohntes im Musiktheater: die Hure, die Prostituierte. Aber es ist eben nicht jene romantisch verklärte wie die Lulu Alban Bergs oder die Violetta in Verdis „La Traviata“. Stattdessen geht es um junges Fleisch, frisch aus Osteuropa, durchnummeriert. So muss sich kein Freier mit lästigen Namen aufhalten, wenn er die Ware Frau bestellt.

Zwangsprostitution. Dieses Thema auf eine Bühne zu bringen, und zwar mit den Mitteln der Musik, die weniger Bilder vorgibt als sie vielmehr in den Köpfen der Zuschauer erzeugt, das hat sich vor Adam Gorb noch kein Komponist getraut. „Anya 17“ hat der Brite seine Kammeroper genannt, Übersetzung überflüssig, so überflüssig wie die konkrete Verortung der Handlung. Anyas Geschichte könnte sich überall zwischen Ost- und Westeuropa abspielen: Ein armes Mädchen, das zum ersten Mal liebt. Das an dieses schöne Leben im Westen glauben will, das ihr der Geliebte verspricht. Und das dann ohne ihn in einer Absteige landet. Für Geld zu kaufen, Tag und Nacht.

Erzählt wird das alles aus Sicht der Frauen, den Männern hat Librettist Ben Kaye die randständigen Rollen zugedacht, hässliche Rollen: der Liebe vorgaukelnde Lockvogel Uri, der Sex mit Liebe verwechselnde Freier Gabriel (beide Partien gesungen von Rodrigo Porras Garulo) und der brutale Lude Viktor. Stephanos Tsirakoglou zeigt ihn als einen gönnerhaften Händler, der dem Markt nur das zuführt, was dieser verlangt. Und dafür die Hand aufhält.

Der Markt will Mädchen wie Anya, deren Bestürzung über ihr Schicksal aus jedem verscheuchten Blick, aus jeder Geste, aus jedem verzweifelten Ton von Anne Ellersiek aufblitzt. Er will auch Mädchen wie Natalia (Carolina Krogius), happy girls, vergewaltigt vom Vater, von Fremden mit zehn Jahren, mit zwölf abgeklärt auf dem Straßenstrich. Er will Mädchen wie die blinde Elena (Camila Ribero-Souza), zerschunden ihrem Dasein ergeben. Er will aber keine Mädchen wie Mila (Elif Aytekin), deren Körper zu offensichtlich leidet unter diesem Markt, als dass ein Freier Gefallen an ihm finden könnte. Die deshalb sterben muss, entsorgt wird.

Regisseurin Mareike Zimmermann lässt die vier Frauen in Nacktsuites auftreten, ähnlich Badeanzügen mit aufgenähten Brüsten und Pobacken. Das verfremdet, lässt die Szenen grotesk erscheinen. Der Sex ist in dieser bedrückend intensiven Inszenierung genauso hässlich, wie jene Männer, die damit ein Geschäft machen. Der Zuschauer kommt sich beim Blick auf Bühne wie ein Voyeur vor, der auf einen Container mit Spiegelfolie schaut, der mal reflektiert, mal den Blick auf die Szene frei gibt.

Was geschieht, doppelt sich in der Musik Gorbs, die Tritte und Schläge hörbar macht. Entsprechend opulent mit zwei Musikern am Schlagwerk ist die fünfzehnköpfige Hofkapelle unter Leitung des 1. Kapellmeisters Leo McFall besetzt. Sie führt – angereichert mit Zitaten – klanglich in zwei entgegengesetzte Sphären. Nach dem Auftakt mit Folkloreanleihen wandelt sie sich mit der Flucht gen Westen. Kommentiert sie die Glitzerwelt der Ware ironisch mit Broadway- und Jazzklängen. In der Partitur finden sich so Klischees, wie auch auf der Bühne reichlich Klischeebehaftetes zu sehen ist, das dennoch oder gerade deshalb berührt. Am Ende ein wenig Hoffnung für Anya. Mehr aber noch Betroffenheit nach all dem Schmerz, Blut, der Angst. Kein üblicher Opernabend.

_Weitere Aufführungen am 8./14. Dezember, 10. Januar, 8. Februar, jeweils 20 Uhr_