Nicole Averkamp, Mariela Mignot und Ignacia Agüero hocken nebeneinander auf der Bühne. Alle drei tragen die gleiche helmähnliche Frisur und schauen verstört nach vorn.

Die große Umvolkung

Juan Pablo Troncoso, Björn SC Deigner: Propaganda

Theater:Theater und Orchester Heidelberg, Premiere:03.10.2025 (UA)Regie:Ana Luz Ormazábal

Das iberoamerikanische Theaterfestival „¡Adelante!“ steigt am Theater und Orchester Heidelberg mit einer politischen Botschaft ein: Hinterfragt den menschenunwürdigen Protektionismus. Das Stück „Propaganda“, inszeniert von Ana Luz Ormazábal, soll aufrütteln und das Publikum konfrontieren. Das gelingt, sorgt aber auch dafür, dass ausgefeilte Metaphern oder überraschende Wendungen auf der Strecke bleiben.

Der Titel ist Programm: „Propaganda“. Zur Eröffnung des diesjährigen iberoamerikanischen Theaterfestivals „¡Adelante!“ zeigt das Theater und Orchester Heidelberg eine chilenisch-deutsche Uraufführung, die die Macht rechtsnationaler Narrative in den Vordergrund rückt. Zu Beginn des in Szenentableaus gegliederten Werks von Juan Pablo Troncodso und Björn SC Deigner scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: Eine sogenannte „Tradwife“ (Nicole Averkamp) bespielt einen Blog über ihr Leben als Gattin in traditionellen Familienstrukturen. Als sie jedoch bald darauf in Kontakt mit der identitären Bewegung gerät, deren Mitglieder wie in einem Orden mit silber-gold schimmernden Mänteln auftreten, bricht sie mit ihrer Herkunft.

Ihre Beziehung endet und sie selbst gerät in einen Kreis mit höchst fragwürdigen Ansichten. Davon indoktriniert, deklamiert sie Sätze wie „Frauen sollen Männer werden und umgekehrt“ oder „wir sollen [als Volk] ausgetauscht werden“. Parallel dazu werden wir in wechselnden Momentaufnahmen eines jungen Mannes ohne nennenswerte Biografie, ohne Job und Ausbildung, also eines „Neets“, gewahr. Er, genannt Elon, verbreitet mitunter krude antifeministische Ansichten im Cyberspace. Dass wir dabei sein Gesicht verzerrt auf Filmaufnahmen sehen, passt nur allzu gut, stellt der Influencer (Leon Maria Spiegelberg) doch sämtliche Gewissheiten und Wahrheiten infrage. Und so verbreiten sich durch ihn oder auch die Tradwife sämtliche Fake News, gespielt in Tickern und Schlagzeilen, die groß auf die Kulisse projiziert werden.

Auf Hass folgt Krieg

Apropos Bühnenbild. Hierbei setzt Regisseurin Ana Luz Ormazábal vor allem auf mobile Holzwände. Auf ihnen erscheinen sämtliche Filmsequenzen oder auch bisweilen lyrische Wortspiele. Aus darauf zu sehenden Begriffen wie „Mädchen“, „weh“, „Männer“, „Schmerzen“, „Messer“ und „Tuch“ werden die an Alice Weidels mittlerweile historisch gewordene Rede angelehnten Phrasen vom „Kopftuchmädchen“ oder von „Messermännern“ durch eine Stimme aus dem Off gebildet. Neofaschistische Codes flottieren somit im Raum. Sie werden vertreten von Figuren, die längst einer Gehirnwäsche unterzogen wurden.

Ramona, die frühere Tradwife, schließt sich beispielsweise einem Fackellauf gegen Ausländer an, bevor sie nach skandierten Parolen hinter einer weißen Holzwand verschwindet – eine Unschuldsfassade, die nicht allzu lange Schutz bietet. Denn was auf den allgemeinen und ebenso in anderen kleinen Handlungssträngen aufgegriffenen Rechtsruck folgt, ist nichts anderes als Krieg. Er ändert alles. Jene, die zuvor von Überverfremdung und Umvolkung faselten, finden sich am Schluss an der chilenischen Grenze vor zwei Beamtinnen (Ignacia Agüero, Josefa Cavada) wieder, um Einlass in das fremde Land zu suchen. Was sie zuvor noch vehement gefordert hatten – eine konsequente Abschottungspolitik – erleben sie nun am eigenen Leib. Für ihre Einreise sind zahlreiche bürokratische Hürden zu nehmen.

Alter Weckruf

Wenn während der Uraufführung mehrfach der Song „Close to you“ von dem internationalen Ensemble dargeboten wird, ist dies purer Hohn. Nah ist sich in dieser Welt aus Vorurteilen niemand, da die titelgebende Propaganda alle voneinander entfremdet. Ist das neu? Keineswegs. Auch wenn das Stück hier und da mit amüsanter Situationskomik aufwartet, handelt es sich doch letztlich um Botschaftstheater. Es gibt ein Statement gegen Kräfte wie die AfD oder andere neurechte Gruppierungen, um das herum man einen Text verfasst hat. Weder vermag er durch eine nennenswerte Metapher noch durch gefeilte Dialoge zu brillieren. Stattdessen setzt er auf plakative Slogans und Wendungen wie etwa den Krieg als dystopische Zuspitzung.

Immerhin reklamiert das Stück eine gesellschaftskritische Relevanz für sich. Es veranschaulicht die gefährliche Universalität medialer und politischer Manipulation und spielt radikal durch, in welchen Abgrund sie uns führen kann. Es gibt die Stoßrichtung von „¡Adelante!“ vor, das in jenen aufgeheizten Zeiten offenbar vor allem eines sein will: ein grenzüberschreitender Weckruf.