Noch hat er sie nicht verloren: Mari Eriksmoen als Euridice und John Mark Ainsley als Orfeo in der Inszenierung von Claus Guth.

Jenseits des Wohnzimmers lauert der Hades

Claudio Monteverdi: L'Orfeo

Theater:Theater an der Wien, Premiere:14.12.2011Regie:Claus GuthMusikalische Leitung:Ivor Bolton

Auf Richard Strauss und Claudio Monteverdi will sich Claus Guth künftig konzentrieren, Mozart und Wagner sind erstmal Vergangenheit. An der Scala inszeniert Guth demnächst Strauss’ Opernschinken „Die Frau ohne Schatten“, in Wien legte er jetzt den Grundstein zu einem Monteverdi-Zyklus. Das Ergebnis ist im Ganzen relativ stimmig, anfangs wirklich wunderbar, später zunehmend sonderbar.

Unmittelbar nach dem Verlöschen des Saallichts mischen sich einige Musiker unters Publikum und stimmen die ersten, sanft schnarrenden Töne an. Wenig später wandert die Musik in den Graben, wird voller und wärmer. Dann guckt La Musica höchstpersönlich durch den Vorhang und bereitet uns auf das kommende Spektakel vor. Der Vorhang öffnet sich, und wir blicken in ein cooles Wohnzimmer mit wuchtigem Treppenhaus, Parkett, großer grüner Couchgarnitur und Bücherregalen, das Christian Schmidt auf die Bühne designed hat. Dort feiert eine illustre Hochzeitsgesellschaft im Sechziger-Jahre Vintage-Look. Man betreibt beträchtlichen Aufwand: ein rasch errichtetes Tempelportal etwa dient als Kulisse für ausführliches (Theater)Spielen. Guth schafft eine sanft bukolische Atmosphäre mit viel Witz und interessanten Details, bis irgendwann Euridice mal eben den Raum verlässt und kurz darauf tödlich verwundet zurückkehrt. Die Verwundung bleibt allerdings eher Behauptung, denn vom tödlichen Schlangenbiss ist ihr nicht all zu viel anzumerken. Pause.

In den drei weiteren Akten wird das altbekannte Wohnzimmer nun durch Videogeflimmer und vorwiegend düstere Lichtstimmungen erweitert. Orfeos Suche nach der Geliebten im Jenseits bleibt bei Guth unklar: Ist das nun ein realer Alptraum-Trip oder bloße Einbildung oder eine Mischung aus beidem? Orfeo trinkt und kokst jedenfalls kräftig und sieht die Geliebte mal hier, mal dort. Nachdem er den ebenfalls ziemlich alkoholisierten Unterwelttürsteher Caronte passiert hat, führt er seine halblebendig wirkende Dame mehrfach quer durch den Saal, bis er zwei Furien – in Form von Doppelgängerinnen Euridices – trifft, sich umdreht und die Gattin verliert. Darauf gibt es zwar den Gnadenakt Apollos und die Party geht von neuem los, doch plötzlich verschwindet die Angebetete schon wieder, und Orfeo bleibt allein zurück. Er bricht mitsamt dem Tisch voller Alkoholflaschen zusammen.

Das ist in aller ‚Mehrdeutigkeit’ dann doch etwas zu eindimensional geraten. Zumal John Mark Ainsley seine Partie szenisch arg verzappelt und stimmlich massive Höhenprobleme – dazu noch Hustenattacken – hat. Phänomenal ist dagegen Mari Eriksmoen als erst glutvolle, dann ätherische Euridice. Die weiteren Partien sind durchwegs solide besetzt. Am Pult von Freiburger Barockorchester und Monteverdi Continuo Ensemble sorgt Ivor Bolton für einen ziemlich radikalen Kontrast zu Guths szenischer Glätte und Kälte. Sehnig heizen die Streicher durchs Material, bei den Bläsern geht es grell und schroff zu. Und vor allem das von Bolton selbst traktierte Cembalo kommt kaum zum Luftholen. Einige Musiker und teilweise auch der von Erwin Ortner hervorragend präparierte Arnold Schoenberg Chor agieren von der Hinterbühne aus, was sehr interessante Raum- und Echoeffekte ergibt.
Alles in allem lohnte sich dieser musikalisch wilde und szenisch eher milde Abend doch.