Zwei Darstellende stehen auf der Bühne und bewerfen sich mit Konfetti. Im Hintergrund steht ein dritter Schauspieler und schaut dabei zu.

Auf unsicherem Grund

Jenny Erpenbeck: Heimsuchung

Theater:Badische Landesbühne, Premiere:26.09.2025Autor(in) der Vorlage:Daniel Schüßler, Hanna HeldRegie:Daniel Schüßler

Die Badische Landesbühne präsentiert mit Jenny Erpenbecks Roman „Heimsuchung“ in einem Theaterabend ein ganzes Jahrhundert: Regisseur Daniel Schüßler inszeniert seine gemeinsam mit Hanna Held geschriebene Bühnenfassung mit vielen poetischen Bildern und berührenden Momenten, die im Gedächtnis bleiben. Wobei es in dieser rasanten Ballung an Geschichte und Fülle an Figuren auch nicht so einfach ist, die Orientierung zu behalten.

Eine herkulische Herausforderung: einen Roman, der im Kaiserreich beginnt und sich bis in die Nachwende-Ära erstreckt, für das Schauspiel kompakt in Form zu bringen. Die Badische Landesbühne Bruchsal hat sich dieses Unterfangens angenommen und Jenny Erpenbecks Jahrhundertchronik „Heimsuchung“ (2008), die nun zum Abiturstoff zählt, auf 80 Minuten reduziert. Entstanden ist eine atmosphärisch dichte, wenn auch in Teilen ein wenig unbeholfene Produktion. Denn manchmal weiß man kaum, wo einem der Kopf steht, in welche Zeit man gerade wieder hineingewirbelt wurde.

Immerhin gibt es eine schon im Text angelegte Konstante, nämlich das Haus am Scharmützelsee. Von einem Architekten errichtet, der später aus der DDR fliehen muss, wird es zum epocheübergreifenden Kulminationspunkt, an dem sich die Schicksale unterschiedlicher Menschen überlappen bzw. treffen. Ein Soldat der Roten Armee vergewaltigt darin eine Frau. Kurz davor ist noch ein Jude vom Nachbarsgrundstück vor der Deportation durch die Nazis geflohen. Seine Nichte Doris sucht sich indessen im Warschauer Ghetto zu verstecken, mit tragischem Ausgang. Später übernimmt eine Schriftstellerin die Bleibe, die über das Gedenken und die Erinnerungskultur reflektiert.

Zu viel des Guten?

Viele Namen also, viele Wendungen, denen die Regie unter Daniel Schüßler sichtlich erliegt. Außer einem Diorama, auf dem neben zumeist meditativ anmutenden Einstellungen rund um das Seewasser häufig die Namen der sich abwechselnden Erzählstränge zu lesen sind, trägt auf der Bühne nichts zur zeitlichen Einordnung bei. Wie ein Splitter steckt die Projektionsfläche übrigens in der Kulisse (Bühne: Eva Sauermann). Zwei spiegelglatte, schwarze Flächen neigen sich zu einer Mitte, deren Spalt im Vordergrund von einer sichtbaren Abrissbirne beschädigt wurde – ein passendes Sinnbild für die Vergänglichkeit.

Dass die engagierten Spieler:innen (u.a. Laura Brettschneider, Evelyn Nagel und Lasse Claßen) nicht auf einer planaren Ebene agieren, hat seinen Grund. Denn sie straucheln und taumeln bisweilen durch die schwierigen Zeiten, bevor sie sich wieder an dem linken oder rechten, oberen Rand aufrichten. Welcher Sinn allerdings eine Leinwand mit einer aufgemalten Wolkenkulisse hat, erschließt sich einem bis zum Schluss nicht, genauso wenig wie manch andere kryptische Metaphern, so zum Beispiel die mehrfache Imitation eines Fuchses oder recht kantige Körperverrenkungen zu Beginn des Stücks, die allenfalls noch an Schwimmbewegungen (durch die Jahrzehnte?) denken lassen.

Im richtigen Takt

Sieht man von den rätselhaften Elementen und der zwar klugen, aber statischen Bühnenanordnung ab, so überzeugt die Inszenierung in einem wichtigen Momentum: der Stimmung. Schüßler findet immer wieder poetische Bilder. So etwa, wenn der jüdische Tuchmacher in Südafrika sein Ende findet. Während er auf dem Boden kauert, hüllt das Blau des Dioramas den Raum melancholisch ein. Begleitet wird dies von einer barocken Arie aus dem Off. Poetisch muten derlei kurze Szenen an, die, wie so oft an diesem Abend, den Text in den Vordergrund rücken. Die Darsteller:innen erzählen ihn und geben ihn damit auch als literarisches Kunstwerk zu erkennen. Es ist das Gespür für Rhythmus, das die Premiere trägt. Der richtige Takt erweist sich überhaupt als notwendig. All die Wunden und Traumata, all die geplatzten Träume, von denen wir erfahren, erfordern Sensibilität. Jenes Germania, wie es über der Kulisse prangt, ist eben ein Zeugnis der Gewalt. Kaum zu glauben, wie viel Schmerz das Gemäuer dieses Hauses verbergen musste.