Foto: Szene aus David Hermanns Inszenierung von Kreneks „Der Diktator“: Sara Jakubiak als Maria und Davide Daminani als Diktator. © Barbara Aumüller
Text:Ekaterina Kel, am 1. Mai 2017
An der Oper Frankfurt gelingt David Hermann eine ebenso intelligente wie vitale Insznenierung von drei selten gespielten Einaktern des österreichischen Komponisten Ernst Krenek.
Landet man einen Erfolg, gerät man schon nach kurzer Euphorie in Zugzwang. So wie der österreichische Komponist Ernst Krenek, der 1927 mit seiner Unterhaltungsoper „Jonny spielt auf“ der Weimarer Republik einen musikalischen Hit bescherte. Ein Jahr später lieferte er schon nach. Er komponierte drei kurzweilige, sehr unterschiedliche und eigenwillige Einakter und verwob sie zu einem Abend. Trotz ihrer Verschiedenheit – oder gerade deswegen – gehören sie zusammen. Das demonstrierte nun auch der Regisseur David Hermann in seiner Inszenierung in Frankfurt.
Krenek komponierte eine beunruhigende, pausenlos changierende Musik. Mal lädt sie ein, der Melancholie zu frönen, mutet ganz düster an oder baut eine tragische Schwere auf. Im nächsten Moment schon springen die Töne nur so umher, die Holzbläser trällern voller Leichtigkeit oder verfallen in beglückte Harmonien. Dieses Muster findet sich in allen drei Einaktern wieder, wobei Krenek trotzdem für jede der drei Opern ein vollkommen eigenes Genre festlegt.
„Der Diktator“, eine kurze Tragödie voller Absurdität, steht am Anfang. Der italienische Gastbariton Davide Damiani verkörpert die Titelfigur, einen Despoten ohne die Zuweisung eines bestimmten Landes, ohne Moral, dafür aber mit viel Lebensenergie und wütender Härte. Damiani spart sicher nicht an Tiefen, trägt dreimal auf und verleiht seinem Diktator dadurch ein surreales Wesen. Und das steht ihm gut. Denn die Geschichte dreht sich nicht um politische Ereignisse, sondern um Begierde, Sex und Eifersucht. Zwei Frauen rahmen den Diktator ein: Seine Ehefrau Charlotte, die als albernes, unsicheres Geschöpf in Eifersucht zergeht und durch ihren auffallend tief timbrierten Sopran kaum an Grazie gewinnen kann. Und die flammende Maria: Fest entschlossen, ihren Geliebten zu rächen, richtet sie ihre Pistole dreimal auf die Brust des Diktators. Doch er lebt fort, dieser Übermensch, den nicht einmal der Tot noch erlösen kann. Stattdessen schafft er es, Marias Hass in sexuelle Lust umzuwandeln. Man schaut verblüfft: Wie ist das möglich? Aber für Erklärungen bleibt im Format des Einakters keine Zeit. Die kurze Form verlangt dem verwirrten Zuschauer viel ab: Er muss gewillt sein, sich auf die irrwitzigsten dramaturgischen Wendungen einzulassen.
Diese Bereitschaft ist für den darauffolgenden Einakter noch entscheidender. In „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ treibt Krenek, der auch die Libretti zu seinen Einaktern schrieb, das Absurde auf die Spitze. Die so entstandene Operette verweilt im Schwebezustand, verwehrt sich einer eindeutigen Interpretation und einem eindeutigen Sinn sowieso. Sie zelebriert den Augenblick, in dem es bunt, schrill, quirlig zugeht. Im Mittelpunkt steht nicht etwa der Boxer Adam Ochsenschwanz, sondern sein Trainingsapparat. Außerdem vielleicht noch die hysterische Studentin Himmelhuber, die alle Blicke auf sich wissen will. Hermann handelt den mittleren Einakter keineswegs leichtfertig ab. Er schafft es, die verbindenden Strukturen zwischen dem ersten und dem zweiten Einakter herauszuarbeiten und sie entlang der absurden Handlung so zu visualisieren, dass sie einerseits Stabilität schaffen und andererseits dem Klamauk auf der Bühne genug Platz einräumen. Hervorragend gelingt ihm das mit der prominenten Platzierung des Narren, eigentlich einer Figur aus dem dritten Einakter, am Anfang des Abends. Ein großes Lob auch an die Kostüme von Katharina Tasch, die beispielsweise mit der blonden Perücke aller drei Gattinnen auf die Macht des Wiedererkennens setzt, und an die Bühne von Jo Schramm, der meisterhaft graduelle Verschiebungen im Visuellen möglich macht und das Geschehen ganz buchstäblich immer weiter hochsetzt.
Kreneks lustige Melodien begleiten das Treiben auf der Bühne, das sich längst von jeglichem Realitätsanspruch verabschiedet hat. Lothar Zagrosek schreckt dabei nicht vor der kabarettistischen Heiterkeit zurück. Er zelebriert das illustrierende Moment von Kreneks Kompositionen und dirigiert ruhig und selbstbewusst durch den Abend. Und so gleitet er in eine Märchenwelt mit einem depressiven König im Bademantel, der im dritten Einakter „Das geheime Königreich“, von Selbstzweifeln geplagt, lieber sterben als regieren will. Herrlich ergänzt wird diese Konstellation durch seine königliche Gemahlin, die in ihrer giftgrünen Kostümierung so gut in den Märchenwald passt, dass sie mit ihm verschmilzt. Die Koloratursopranistin Ambur Braid aus Kanada war in Frankfurt bereits als glänzende Königin der Nacht zu erleben. Nun wird sie zu Kreneks Königin des Waldes. Davide Damiani mutiert hier mit seiner soliden, erzählerischen Stimme vom harten Diktator zum weinerlichen König. Sebastian Geyer tänzelt mit seinem ganz anderen, jungen und schelmischen Bariton durch die Szene, ein Narr, wie er im Buche steht: albern und trotzdem wissend. Er steht etwas außerhalb der Geschichte und ist gerade deshalb die spannendste Figur, die der Handlung den nötigen Dreh gibt.
So viel lustvolles Spiel und scheinbare Absurdität alle drei Einakter auch ausstrahlen – hier unterstehen sie einer gut geölten Regelstruktur, werden eingerahmt von den Vorgaben Kreneks einerseits und von den szenischen Setzungen Hermanns andererseits. Letzterer spürt dem Komponisten gekonnt nach. Das Beste spart Krenek für den Schluss auf – und das Regieteam tat sehr gut daran, das zu erkennen. Es konzentrierte seine Ressourcen aus Sängern und Bühneninstallation auf den dritten Teil, der den Abend hervorragend abrundet und wohl kaum jemanden im Publikum ohne ein Schmunzeln nach Hause entlässt. Die vielen Bravo-Rufe konnten das bestätigen.