Die Cromagnons, Höhlenmenschen mit hautähnlicher Fetzenkleidung (Bühne und Kostüme: Daniel Roskamp), leben in einer Zeit, in der der Krieg die Städte weggegebombt hat. In einer Höhle aus Wellblechwänden, in der die Schauspieler den Kriegssound durch das Bearbeiten des Blechs erzeugen (Musik: Eric Schaefer), halten sie ihren kleinen Alltag aufrecht und überleben in ihren Träumen. Und so bereiten sie alle, Mutter Nazha (Anke Stedingk), Vater Neyif (Uwe Steinbruch), Sohn Neel (Christoph Förster) und Tante Souhayla (Eva-Maria Keller) für die jüngste Tochter Nelly (Sabrina Ceesay) die Hochzeit vor. Der Hammel wird vom Vater herbeigezerrt, die „Tafel“ von der Mutter unter dem Kronleuchter gedeckt, die Tante bringt die Suppe vorbei, man streitet sich über den Salat, über die Hose vom Sohnemann. Der ganz normale Familienwahnsinn ist das.
Mouawad hat eine raue, rohe Komödie geschrieben, und sie dann, ganz surreal, ganz absurdes Theater, immer wieder mit Inseln von Poesie und Visionen durchzogen. Wenn die somnabule Nelly mit dem Kinderlächeln ihrem jüngeren Bruder begegnet, auch er ein vom Krieg zerstörter Träumer, dann bekommt das vorher so derbe Theater Flügel: Nelly ist die elementare Unschuld in einer brutalisierten Welt, ihre Sätze sind kleine Kostbarkeiten, auch wenn sie die Grausamkeit des Krieges beschreiben: „Wie kann etwas so traurig, so lustig sein.“ Sabrina Ceesay spielt die Nelly wie aus einer ferne Zeit herbeigeweht. Und wenn sie ganz zum Schluss mit ihrem Bräutigam davon geht, ahnen wir, dass er vielleicht doch ein ganz anderer ist. Vielleicht der Tod?
Wie Regisseur Gustav Rueb seine Inszenierung in diesem fast atemlos wirkenden Wechsel zwischen Groteske und Träumerei, zwischen derber Realität und poetischer Vision vorwärts treibt, ergreift, berührt, verschreckt. Lässt den Zuschauer mitschwingen im Wechsel der Stimmungen. Wir lernen so vielleicht die Mutter (Anke Stedingk) verstehen, die so rabiat und dreist an ihrem Leben und Lügentraum festhält. Verwundet und verwundert gibt Christoph Förster dem Jungen Neel, der so gerne Kind geblieben wäre, ein unnachahmliches Profil. Bravo. Der älteste aus dem Krieg heimgekehrte Sohn Walter (Artur Spannagel) ist gefährlich nah an der Karikatur eines IS-Kämpfers.
Der Krieg im Nahen Osten – wie kann man dieses Grauen spielen? In Kassel hat man es versucht, und eine Möglichkeit gefunden. Mit diesen Schauspielern konnte es gelingen. Stürmischer Beifall zur Premiere.