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Im Marionettentheater

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte

Theater:Staatsoper Unter den Linden, Premiere:17.02.2019Regie:Yuval SharonMusikalische Leitung:Alondra de la Parra

Dass das Konzept, das der Regisseur Yuval Sharon sich für seine „Zauberflöte“ an der Staatsoper Unter den Linden ausgedacht hat, am Ende aufgelöst wird, ist eigentlich überflüssig. Zu den beschwingten Passagen des Finales, in welchem die Sonne und die Weisheits- und Tugendfindung Taminos und Paminas gefeiert werden, sieht man ungefähr sechs Kinder auf dem Dach eines Marionettentheaters sitzen, das eine Miniatur der Staatsopernbühne ist. Von hier aus also sollen sie all die Figuren aus Mozarts letzter Oper bedient haben, bis auf den „bösen Mohren“ Monostatos, der als Spielzeugroboter ohnehin nur auf geraden, voraussehbaren Bahnen läuft. Tamino, Pamina, Papageno, Sarastro und die Königin der Nacht – außergewöhnlich klare Diktion: Koloratursopran Tuuli Takala – also als Marionetten, die von willkürlicher Kinderhand durch ihr Schicksal gesteuert werden und kaum je dagegen aufbegehren: Regisseur Sharon hat diesen Grundgedanken indes vorher bereits überdeutlich gemacht.

Den schmiegsamen Tenor von Julian Prégardien als Tamino stört es wundernswerterweise kaum, dass er fast die ganze Aufführung hindurch als Marionette verkleidet an neonfarbenen Seilen über die Bühne schwebt und nur zuweilen, bei besonders bedeutsamen Stellen, abgesetzt wird – während sich der Bass Kwangchul Youn für seinen Sarastro selbst mit beiden Beinen auf dem Boden stehend in ein allzu massives Singen flüchtet. Und den ebenso wie Tamino behandelten Florian Teichtmeister als Papageno können die Fäden vielleicht sowieso nicht stören, da seine Stimmbehandlung eher an ein junges Chansontalent erinnert als an einen Opernsänger. Das würde noch angehen, wenn Teichtmeisters momenthafte Komödiantik und seine zeitweisen Imitationen Wiener Dialekts irgendeine inhaltliche Konsequenz hätten. Das haben sie jedoch ebenso wenig wie die Marionettennummer.

Man wird einfach den Verdacht nicht los, dass diese Idee nur aufgrund des szenischen Effekts – durch den Raum schwebende Opernsänger, olàlà – gewählt wurde und nicht im Dienst einer inhaltlichen Annäherung an Mozarts komplexes Stück. Gewiss, bei der Feuer- und Wasserprobe werden Pamina und Tamino von ihren Fäden befreit und finden sich, nun eheähnlich vereint, in einer standardisierten Katalogküche wieder, wo Mut und Weisheit allein darin bestehen, die Nudeln nicht überkochen zu lassen. Freiheit des Menschen gibt es also auch jenseits des Marionettendaseins nicht, diese intellektuelle Pointe geht in Ordnung, täuscht aber bei weitem nicht darüber hinweg, dass Yuval Sharon für die zwei Stunden zuvor keine Lust hatte, sich mit den Motiven, dem Charakter und der Musik jeder einzelnen Figur zu beschäftigen. Es mag ja sein, dass man Papageno und Tamino nicht als Kämpfende und Zweifelnde, sondern über die Länge einer Aufführung als fremdgesteuerte Pappkameraden zeigen kann, die – weshalb eigentlich – am Anfang des Stückes aus einem vage kindergezeichneten Paradies ausgebrochen sind. Aber wen interessieren solche Nicht-Charaktere nach den ersten fünf Minuten noch?

Die vielen Buhs am Ende sind also durchaus nicht das Ergebnis des Pechs, das die Staatsoper in dieser Produktion verfolgte. Da sich ja Sharon gar nicht für seine Figuren interessiert, ist es am Ende völlig egal, ob Anna Prohaska als Pamina in der Premiere wegen Krankheit ausfällt und durch die durchaus respektable Serena Sáenz Molinero aus dem Opernstudio der Staatsoper ersetzt wird. Sie war eigentlich als Papagena vorgesehen, hier wurde nach Ersatz gesucht und in der jungen Studio-Kollegin Sarah Aristidou ein solcher, leider zur Premiere stimmlich unzulänglich, gefunden. Weshalb kann ein Haus dieses Ranges da nicht zuverlässiger Abhilfe schaffen?

Das fragt man sich auch angesichts der musikalischen Leitung, wiewohl man es sich hier einigermaßen erklären kann. Nachdem Franz Welser-Möst wegen einer Knieoperation sein Dirigat der Aufführung abgesagt hatte, ergriff die Staatsoper die Flucht nach vorne und verpflichtete die zwar international hoch gehandelte, aber in der Oper noch unerfahrene junge Dirigentin Alondra de la Parra. Mit einem alten, erfahrenen Kapellmeister, der die Staatskapelle und die Solisten angesichts der sonstigen Willfährigkeiten dieser Aufführung sicher und routiniert durch Mozarts heikle Partitur lotst, hätte man selbst im Falle eines Erfolgs wenig Aufsehen erregt. Doch die Staatsoper hat auf ein Sensationsdebüt gesetzt und damit zu hoch gepokert. De la Parra hat viele gut durchdachte Ideen, dirigiert flott, ist aber nicht in der Lage, allseits bekannte, typische „Zauberflöten“-Klippen in der Koordinierung von Chor und Orchester zu umschiffen. In Erinnerung bleiben in der Luft hängende Figuren, musikalisch und szenisch. Man hat an der Staatsoper mal wieder viel Geld ausgegeben für eine Inszenierung, die vermutlich bald zugunsten des klassischen Schinkel-Bühnenbilds der „Zauberflöte“ in der über 20 Jahre alten Regie von August Everding eingestampft werden wird.