Szene aus "Goyescas" mit Katja Ladentin, Opern- und Extrachor

Im Liebes-, Musik- und Farbrausch

Enrique Granados/Giacomo Puccini: Goyescas/Gianni Schicchi

Theater:Theater Regensburg, Premiere:23.01.2016Regie:Bernd Liepold-MosserMusikalische Leitung:Tetsuro Ban

Grau in Grau, etwas Weiß und vor allem viel Schwarz – das sind die dominierenden (Nicht-)Farben im ersten Teil dieses Opernabends am Theater Regensburg. Der zweite ist dann ein Farbrausch, der jede Psychedelic-Rock-Fernsehaufzeichnung (Hurrah, wir senden in Farbe!) aussticht.

Bernd Liepold-Mosser spannt zwei einaktige Opern zusammen, die während des Ersten Weltkriegs („Goyescas“ 1916) und einen Monat nach dessen Ende („Gianni Schicchi“ im Dezember 1918) ihre Uraufführungen an der New Yorker Met erlebt haben. Er inszeniert das Bühnengeschehen als zwei Seiten der selben Medaille ohne Umbaupause: Unglückliche wie glückliche Liebe gedeihen inmitten enormer gesellschaftlicher Umbrüche, zwischen Betrug, Verrat und sich rasant verschiebenden Machtverhältnissen.

Wie eine riesige Trauergemeinde steht der Chor auf einer Tribüne und besingt ohne körperliche Regung den ‚Wind der Leidenschaft‘, der um das Fin de Siècle durch Spanien weht: Die Lebensfreude einer dekadenten Gesellschaft aus Emporkömmlingen, die durch Witz, Sorglosigkeit und zwanglos ausgelebte Sexualität die Aristokratie erschüttert. Stellvertretend dafür steht Torero Paquiro, der sich als einziger in glänzendem Weiß über die Bühne bewegt. Seine wahre Liebe gehört Pepa, doch er flirtet mit der adeligen Rosario und legt sich mit ihrem verlobten Hauptmann Fernando an. Nach knapp 60 Minuten siegt die Unverfrorenheit, Paquiro überrumpelt und ersticht Fernando beim Duell, Rosario vergeht in Trauer und aus dem Abseits beobachtet Pepa das Spiel, aus dem sie längst draußen ist.

Eifersuchtsdrama Schema F also, das aber vom Philharmonischen Orchester Regensburg unter Tetsuro Ban mit unheimlich spannender post-romantischer Musik, mit lässig gezupfter Feinfühligkeit und dramatischen Bläsern erzählt wird: liebliche und scharf reibende Akkorde, die bereits in der musikalischen Moderne angekommen sind. Während sich die Orchestermusiker voll ausleben und der Chor große Bögen meistert, fühlen sich besonders die rivalisierenden Männer weniger wohl im inszenatorischen Korsett, im Nicht-Ausagieren der Gefühle. Wobei es schließlich doch zur Rolle passt, wenn Seymur Karimov als Paquiro mit einer größeren, reiferen Stimme singen möchte, als er eigentlich besitzt. Die nur für die Premiere eingesprungene Katja Ladentin als Pepa erntet zurecht Szenenapplaus, nachdem ihre Stimme zu Beginn gegenüber dem Orchester leicht unterging. Absolut großartig und facettenreich sind dagegen Michaela Schneider als Rosario und Yinjia Gongs Fernando, ganz besonders in ihrer ‚diskursiven Liebesarie‘, in der sie sich einander wieder nähern und ewige Liebe schwören. Das alles passiert in einem eiskalten Bühnenbild von Andrea Cozzi, dessen einziger Farbtupfer eine riesengroße rote Gummipuppe der Künstlerin Julia Rohn ist; die Schimäre der immer verfügbaren Liebe.

Hat bei „Goyescas“ der Chor in schwarzen Uniformen in Reih und Glied den Anti-Ball gemimt, während er vom Gegenteil sang, gibt es bei „Gianni Schicchi“ Spielfreude und explodierende Farbenpracht von allen Seiten. In quietschbunten Kostümen mit Petticoat und Haartolle weint eine florentinische Verwandtschaft um ihr verstorbenes Familienoberhaupt. Auch Boden, Wände und Decke bestehen allein aus grell leuchtenden Farbschlieren. Panisch sucht die Trauergemeinde mit Opera-Buffa-Overacting das Testament, selbst der Rock der Schwester wird kontrolliert. Als klar ist, dass der selige Buoso Donati sein reiches Erbe gänzlich einem Kloster vermachen will, brechen alle in eine tumultartige Mönchs-Schelte aus. Besser könnten auch die Teletubbies nicht trauern! Weil aber alle erben wollen und der junge Rinuccio Geld braucht, um seine Lauretta zu heiraten, tritt die adelige Noch-nicht-Erbengemeinschaft an deren Vater heran. Denn Gianni Schicchi, Aufsteiger vom Lande, ist bekannt für intelligente Schachzüge und unverhohlene Verschlagenheit. Mit verstellter Stimme spielt er den Verstorbenen von dessen Tod noch niemand weiß und ändert – im Beisein der Erben – vor dem Notar das Testament ab. Aber nicht nur der lässt sich übers Ohr hauen, sondern eben auch die Erben: Das edle Stadthaus vermacht sich Schicchi-Donati einfach selbst, die Familie tobt vor Wut, doch das junge Paar wird glücklich sein.

Mit perfektem Timing kommt aus dem Orchestergraben ein unheilvoller Akkord nach dem anderen, scharfe Akzente sitzen absolut. War das Orchester bei Granados schon sehr gut, hört man bei Puccini die Lust und Freude am musikalischen Farbenreichtum in jeder Note. Und obwohl Puccini ‚größer‘ schreibt als Granados, verfällt Tetsuro Ban nie in zu saftige Gesten. Er unterstützt vielmehr das Funkensprühen auf der Bühne, das von einem großartig als Gruppe agierenden Sänger-Ensemble ausgeht. Mit dabei auch Ladentin, Schneider und Karimov, die nach den vorherigen Einzelrollen nun vorbildlich zurücktreten. Neu dabei sind zum Beispiel Jonathan Winell als Rinuccio, der den überzeichneten Gianni-Schicchi-Lobgesang anstimmt und Adam Kru?el. Für die Rolle des Schicchi zieht Kru?el alle Register von belegt-zärtlich bis schnaubend vor Wut und ist dabei ebenso differenziert wie die Musik aus dem Graben. Und wie er gegen Schluss – als einziger ansonsten schwarz gekleidet – mit seinem orangefarbenen Pullover die Erbschleicher-Familie wie Schmeißfliegen aus (nun) seinem Haus vertreibt, ist auch schauspielerisch ziemlich toll.

Wenn sich die Sänger im selten gehörten „Granados“ vielleicht etwas wohler fühlen und ein technisches Vorhangproblem gelöst ist, dann wird die erste Hälfte des Abends auch optisch ein noch vielschichtigeres Bild abgeben. Die Bühnenbild-Fotos im Programmheft lassen Großes hoffen. Hingehen!