Foto: Liu Dake, Star der Peking-Oper, als Wotan mit seiner Tochter Brünnhilde (Kara Leva) © MUTESOUVENIR | Kai Bienert
Text:Matthias Nöther, am 21. Dezember 2019
„Peking-Oper“ trifft auf Musiktheater: Im „Ring des Nibelungen“ im Radialsystem ist zum Beispiel Siegfried nach dem chinesischen Rollentypus des Wusheng gestaltet – eines „kämpfenden jungen Mannes“. Wiewohl Darsteller Zhang He die traditionelle asiatische Kriegermontur trägt, ist seine artistische Leistung mit Saltos und Spagaten gleich bei Auftritt im dritten Teil „Siegfried“ atemberaubend, das Beste aber ist die Koordination mit dem kleinen Orchester links der Bühne, welches Zhang Hes chinesische Rede mit Trommel- und Beckenschlägen begleitet. Die auf blitzschnelle Gesten des Darstellers punktgenau synchronisierten Klänge geben der Darstellung etwas faszinierend Dreidimensionales.
Die deutsche Regisseurin Anna Peschke und der künstlerische Wortführer der chinesischen Seite Liu Dake bestehen darauf, dass es sich bei dem Spektakel nicht um eine „echte“ Peking-Oper handelt – also keine unbekannte Mythen und Sujets, kombiniert mit nebulösen Darstellungstraditionen.
Als Gegengewicht gegen das exotisch Unbekannte gibt es schließlich die Handlung um den machtgierigen Wotan, seinen Widersacher Alberich, die Wälsungen, Rheintöchter und den fluchbeladenen Ring der Zwerge; diese ist uns wohlbekannt. Auch findet keineswegs eine vollständige, nicht mehr entwirrbare Amalgamierung westlicher und östlicher Codes statt. Es bleibt weitgehend transparent, was wohin gehört. Dass dies wirklich als musikalisches Drama einen großen Zauber hat und nicht zur Kultur-Verstehen-Folklore verkommt, ist vielleicht das größte Verdienst von Regisseurin Anna Peschke. Musikalische Unterstützung erhält sie von der Komponistin Aziza Sadikova, welche die Musik zu dieser Produktion außerhalb der chinesischen Arien erfunden hat. Sadikovas Avantgardismen sind für sich genommen nicht charismatisch, funktionieren jedoch als Kitt zwischen der statischen chinesischen Musik der Komponistin Qiu Xiaobo und Wagners romantischer Erzählpraxis bestens.
Schauspieler Claudius Körber führt als Wagnerscher Feuergeist Loge in schwarzem Gewand mit fliegenden roten Ärmeln durch die Handlung und gleicht seine mangelnde Praxis in fernöstlicher Operndarstellung durch treffsichere Komödiantik und sprachliche Diktion aus. Mattis Nolte seinerseits kommt als Riese Fasolt, Held Sigmund und Bösewicht Hagen auf die Bühne und agiert in der Tat sehr erfolgreich innerhalb der abgezirkelten Körpersprache der Peking-Oper. Nolte wird für das gebannte Publikum zu einer Art Transmitter zwischen den Kulturen: Seine Herkunft aus einer westlichen, auf psychologische Einfühlung getrimmten Schauspieltradition kann Nolte nicht verleugnen, sie macht ihn nahbarer.
Unnahbar dagegen ist Wotan, und das soll auch so sein. Liu Dake zeigt sich als der zur Zeit tonangebende Künstler der chinesischen Peking-Oper, als der er angekündigt wird. Liu Dake folgt dem Rollentypus des autoritären, stets etwas zu lauten Sheng: Mit großem bemalten Gesicht, mit majestätischen Fahnen auf dem Rücken (selbstverständlich sind darauf Wotans Raben abgebildet) und mit unnahbarer Mimik steht er wie ein lebendes Denkmal im Geschehen, wiewohl er auch mal den Fuß auf Kopfhöhe schnellen lassen kann, wenn ihm was nicht passt. Und wenn er seine Tochter Brünnhilde (brillant unprätentiös: Sopranistin Kara Leva) auf Chinesisch fragt, ob sie ihren Fehler erkenne, dann gibt die staatstragende Kultur für uns Westler in diesem Moment mehr von ihrer Praxis politischen Diskurses preis, als ihr lieb sein kann.