Yuko Kato (links) und Remus Sucheana (rechts) ziehen an Günes Gürle (Pollux, Mitte).

Im Farbrausch der Götter

Jean-Philippe Rameau: Castor et Pollux

Theater:Deutsche Oper am Rhein, Premiere:28.01.2012Regie:Martin SchläpferMusikalische Leitung:Axel Kober

Seit Martin Schläpfer das Ballett am Rhein 2009 übernommen hat, schuf er als Chefchoreograf einige herausragende Werke für die 48-Personen starke Compagnie. Im weitesten Sinne neoklassisch orientiert, findet der bescheidene Schweizer seine choreografische Inspirationen zumeist in der Schwebe musikalischer Metaphysik statt in Handlungsballetten. Der „Fachwechsel“ in die Opernregie ist an diesem Punkt seiner Karriere naheliegend, genau wie die Wahl einer französischen Barockoper als erster Inszenierung:

Denn wie zu erwarten geraten die zahlreichen Divertissements in Jean-Philippe Rameaus zweiter Oper „Castor et Pollux“ (uraufgeführt 1737, man spielt die Urfassung inklusive Prolog in Düsseldorf) nicht ausschließlich zum tänzerischen Beiwerk. Vielmehr stellt Schläpfer den Tanz als bedeutungstragendes Element an die Seite der Sänger und fordert mehr noch auch den Gesangssolisten Tänzerisches ab. Wenn sich Castor in den elysischen Gefilden der Unterwelt vor Sehnsucht nach seiner Télaïre schmerzverzerrt zu Boden windet, anmutig dreht, die Arme tänzerisch führt, gelingt das dank der Begabung des jungen finnischen Tenors Jussi Myllys ganz herausragend. Die übrige Bewegungskomposition der Solisten ist klar auf die vier Liebenden Castor, Pollux (Günes Gürle), Télaïre (Alma Sadé) und Phébé (Claudia Braun) beschränkt – während die Götterwelt (Vénus, Mars, Jupiter, Minerve, L’Amour) symbolisch erhöht auf massiven Plateauschuhen steif herumstakst oder -steht. Dass sich auch einige Tänzer auf diesen massiven Klötzen vorwärtsbewegen müssen, hemmt deren gewohnte Dynamik, ist in ihrer Figurendopplung als Götter-Begleiter jedoch stringent und nebenbei ganz putzig anzuschauen.

Bunt und gewichtig hat die Stuttgarter Künstlerin rosalie ihre Symbolik für den Bühnenraum und die Kostüme gewählt. Eine riesige, aus kunststoffähnlichen Röhren gestapelte Skulptur füllt den kompletten Bühnenhintergrund; wolkenförmig und farblos im Ganzen, bewirken wechselnde Lichtfarben und -stimmungen je nach Szene eine komplett andere Welt: weiß der Himmel, aus dem Jupiter hervortritt, rosa die Verführung in Hébés Zaubergarten, blau des Hades Düsternis. Gott Amor, rot besprenkelt, trägt statt Flügeln einen Lenkdrachen am Rücken, die übrigen Kostüme sind edel silbern und weiß gehalten, die Tänzer tragen geschlechtsneutrale, halblange Kleider.

Den Mythos der Zwillinge Castor und Pollux – von denen einzig Pollux Sohn des Jupiter ist und deshalb unsterblich, Castor hingegen im Kampf getötet wird und in die Unterwelt muss, ehe Pollux ihn durch selbstlose Bruderliebe rettet und Göttervater Jupiter beide begnadigt in den Himmel erhebt – diesen Mythos bebildert Martin Schläpfer im wechselnden Zusammenwirken aller darstellenden Künste: Während der Chor zumeist statisch im Block arrangiert ist, nur hin und wieder Bewegungsmuster aufnimmt, drängen die zahlreichen, mit dem Corps de ballet choreografierten Ballettmusiken in den Vordergrund – und machen deutlich, dass es immer noch der Tanz ist, über den Schläpfer am seelenstärksten spricht: Wenn unter kraftvoll-kantigen Sprüngen filigrane höfische Tanzschritte durchblitzen, oder wenn Schäpfers begnadete Solistin Marlúcia do Amaral die vokalen Eifersuchtsanfälle der Phébé im 3.Akt auch körperlich erfahrbar macht. In dieser Szene gelingt, was selten der Fall ist: dass Sänger und Tänzerdouble im Affekt nahezu verschmelzen.

Generalmusikdirektor Axel Kober dirigiert mit Esprit die Neue Düsseldorfer Hofmusik, wenn auch die dynamische Gestaltung zwischen Bühne und Graben nicht immer harmoniert. Aus dem überwiegend sehr guten Sängerensemble seien neben Jussi Myllys Castor vor allem Günes Gürle als Pollux und Alma Sadés jugendlich-schlanker Sopran (Télaïre) sowie Claudia Braun als Phébé hervorgehoben.

Mit „Castor et Pollux“ beschließt die Rheinoper ihren ehrgeizigen Rameau-Zyklus, der im Januar 2010 mit der ebenfalls choreografisch geglückten Inszenierung Arila Siegerts von „Les Paladins“ begann und im Januar 2011 mit Karoline Grubers aktualisierender Regie von „Platée“ fortgesetzt worden war.