Szene aus "Identity 2.0" in Bielefeld.

Ich ist ja immer ein anderer

Gregor Zöllig: Identity 2.0

Theater:Theater Bielefeld, Premiere:24.03.2012

Ich – romantischer Singular oder digitaler Plural? Wenn die philosophische Frage, wer bin ich und wenn ja wie viele, schon ein Bestsellerthema ist, will Gregor Zöllig mal tanztheaternd nachfragen, warum das moderne Selbst der Transparenz nacheifert, die ihm die zeitgenössische Architektur vorführt und die jeder live bei Facebook & Co. ausleben kann: Ein Ich-Profil designen und managen, also mit immer neuen Updates erkunden, wie das Sichtbarmachen von Persönlichkeitspartikeln, Meinungen, Vorlieben das Online-Rollenspiel beeinflusst. Mit dem ja der Ernstfall geprobt wird: der Wettkampf um Aufmerksamkeit im Offline-Leben. Dort startet „Identity 2.0“.

Kraft- und lustvoll präsentiert werden junge Menschen von heute in kurzen, eitel-sportiven Ich-Shows. Geradezu eine Parodie auf die bei Zölligs Ensemblearbeit übliche Suche nach körpersprachlicher Ausdrucksindividualität. Aber die Figuren wollen erstmal auch nur gefangen und gefesselt werden vom Netz, hinein ins Internet. Dieser soziale Raum kann nur körperlos betreten werden – mittels Digitalisierung. So fahren Lichtbalken wie in einem Scanner vor der Bühne auf und nieder. Für jeden Tänzer liegt ein entsprechendes Gerät auf dem Boden bereit. Stück für Stück werden Körperdaten abgetastet, erfasst – als Fotokopien endlos ausgespuckt und wie Werbeflyer verteilt. Ich – zur Marke verkümmert, um benutzt, verwertet zu werden. Und sei es nur zum Sammeln von Klicks oder so genannter Freunde. Die suhlen sich in den inszenierten Abbildern – und zelebrieren beim Herumwirbeln Köpercodes verstörter Verständigung. Dem muss Einhalt geboten werden, sagt der medienkritische Verstand. Also lässt Zöllig mit Laubwegföhngeräten die Bühne säubern. Platz für Authentizität?

„Ich bin Uwe“, sagt ein nicht Uwe heißender Tänzer, travestiert schmalbrüstig und blond perückt einen Kontaktsucher, der eine vollbusige Blondine für sich gewinnen möchte. Ein weiterer Motionskünstler erbettelt mit „Free hugs“-Plakat im Parkett reale Umarmungen. Andere machen sich akrobatisch darüber lustig, in wirklich allen Lebenslagen telefonieren zu müssen. Oder beim Küssen weniger auf die zu liebkosenden Lippen zu achten als auf die mitfilmende Handykamera. Beim Pas de deux müssen Tanzpartner eine Scheiben wie einen Touchscreen zwischen sich halten, um darauf und nicht aneinander herumzufingern. Schmiegen sich doch mal zwei Körper aneinander, verknoten sie gleich hitzig-hektisch, umrankt von gierig tigerndem Gegrapsche. So geht das weiter: ein Assoziationsreigen bizarr banaler Alltagsszenen aus der Kommunikationswelt digitaler Medien. Erfrischend direkt. Frech plakativ. Und immer kritisch ironisch beleuchtet.

Zu recht beliebiger Musik: Hauptsache unter der sublimen Schönheit schwebender Sounds hämmert sanft ein Beat. Während die angenehm leere Bühne zunehmend mit hässlichen Netzwerk-Installationen verunstaltet wird. Dort klettern dann final alle traurig herum, jeder für sich, seelenmatt, gelangweilt. Großer Jubel! Für starkes Bilder- und weniger starkes Tanztheater. Das doch prädestiniert wäre, mit seiner Sprache aus Bewegungen, Gesten, Berührungen nicht nur abzubilden und zu belächeln, sondern hinter den Spiegel des eigenen Scheins zu gelangen. Ich ist ja immer ein anderer.