Ensembleszene aus der Uraufführung "Utopie - eine Recherche über die Zukunft"

In hundert Jahren?

Ulrike Stöck: Utopie - Eine Recherche über die Zukunft

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:07.10.2018 (UA)Regie:Ulrike Stöck

Rechercheprojekt zur Geschichte und Zukunft Mannheims mit Profis und Laien

Das ist eine wunderbare Idee, Menschen aus der Region zu befragen, wie sie sich ihre Stadt in 100 Jahren, also 2118, denken. Dabei Menschen nicht nur zu befragen, sondern sie auch noch schreiben zu lassen. 1910 hat Arthur Bremer einen Sammelband mit dem Titel „Die Welt in 100 Jahren“ veröffentlicht und dabei Visionen entwickelt, die das Produktionsteam um Ulrike Stöck aufgreift. In „Utopie – Eine Recherche über die Zukunft“ wird weiter davon ausgegangen, dass man die Zukunft nur im Spiegel der Vergangenheit erforschen kann. Dabei ist man am Jungen Nationaltheater Mannheim auf die Gründungsurkunde Mannheims aus dem Jahre 1607 gestoßen. Einige Paragraphen daraus  werden in der Aufführung von bedruckten Kopfkissen ab- und vorgelesen. Da werden Neubürgern  mit Steuerreduzierungen und sensationellen Versprechungen wie „gleiches Bauland für jedermann“ angelockt. Liegt da in der Vergangenheit, ausgerechnet im Feudalismus, ein utopisches Moment, das mit dem Kapitalismus zuschanden gegangen ist? Aber diese Produktion will nicht politisch argumentieren, sondern performativ.

Bei der historischen Recherche ist man noch weiter fündig geworden. Man stieß auf die Komposition „utp_“ von Alva Noto und Ryuichi Sakamoto, die die beiden Komponisten Mannheim zum Stadtjubiläum 2007 zur Verfügung stellten, seinerzeit vom Ensemble Modern im Nationaltheater zur Aufführung gebracht. Per Playback wird diese elektronische Musik eingespielt, die in ihrem Anschwellen eine großartige Kraft entwickelt, in den leisen Tönen fast sentimental ist, vor allen Dingen aber für alle Formen eines Bewegungstheaters wunderbar geeignet ist. Der Wechsel von Dialogszenen mit einem Physical Theatre, das mit elektronischer Musik unterlegt ist, prägt die Struktur der Aufführung, die sich dann zum Ende hin partizipativ auflöst.

Doch der Reihe nach. Die Zuschauer sitzen sich auf zwei Tribünen gegenüber. An den Längswänden sind senkrecht Neonröhren befestigt, die mit der Musik verbunden aufleuchten. In den spärlichen Programm-Informationen des Hauses wird niemand für das Bühnenbild genannt, immerhin für das Licht: Fred Pommerehn. In der Mitte teilt ein Vorhang aus verschiedenen Betttüchern den Spielraum (und die Sicht der Zuschauer). Die Spielerinnen und Spieler betreten in Schlafanzügen einzeln nacheinander den Raum. Es zeigt sich, dass der Vorhang ein doppelter ist. Die Spieler können darin verschwinden, wieder heraustreten, sich im Videobild verdoppeln und Kontakt miteinander aufnehmen (Choreografie: Konstantin Achmed). Dann fällt der Vorhang und die Spieler tragen Kissen herein, die auf der rechten Seite gelagert waren. Natürlich muss eine Kissenschlacht entstehen. Und so geht es weiter. Ein großer roter Fisch kommt vorbeigeschwommen. Mikros fallen vom Himmel. Höhepunkt ist eine Improszene, in der Uwe Topmann, neben Patricija Katica Bronic der einzige profi auf der Bühne, glaubt, dass in 100 Jahren Arbeit nur noch im Traum geleistet wird. Diese Szene wirkt auch deshalb so improvisiert, weil sie zu keinem rechten Ende (Musik wird dann eingespielt) kommt. Zum Schluss mischen sich die Spieler in das Publikum, um aktuelle Wohnprobleme zu besprechen.

Diese Produktion ist ärgerlich. Sie hat einen großartigen konzeptionellen Ansatz, aber in der Aneinanderreihung sämtlicherr performativer und partizipativer Formen, die im Augenblick auf den Markt en vogue sind, wirkt sie beliebig. Das ist schade um die beiden Bürgerinnen in der Produktion, Manuela Albu-Schreyer (Rentnerin, oder um in der Sprache des Produktionsteams zu bleiben: „eine Frau in der nachberuflichen Lebensphase“) und Alma Heiden, Grundschülerin, die großes Lustpotential in die Aufführung einbringen, aber auch um die beiden Profis. Was ist das für eine Regie, der nicht einmal auffällt, dass, die Spielerinnen und Spieler kaum zu verstehen sind, wenn sie mit dem Rücken zum Publikum spielen. Dabei hängt doch der Bühnenhimmel voller Mikrofone.