Feine gemeinsame Bewegungssprache: Gina Haller und Jing Xiang.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Julia Wissert und Ensemble: 2069 - Das Ende der Anderen

Theater:Schauspielhaus Bochum, Premiere:03.05.2019 (UA)Regie:Julia Wissert

Eine große trübe Folie erstreckt sich von den ersten drei Zuschauerreihen über die Bühne bis zu einer zweiten Folie, die die Bühne abtrennt. Zunächst kann man nur erahnen, dass sich dahinter noch etwas verbirgt. Als eine der Performerinnen hinter dem Vorhang verschwindet, wird er schließlich heruntergerissen. Doch Nebel versperrt weiterhin die Sicht und so taumeln die Schauspielerinnen orientierungslos auf dem vorderen und hinteren Bühnenteil umher. Durch ihre Stirnlampen sowie das rote Scheinwerferlicht kann man endlich erkennen, dass Plastikstühle aufgebaut sind und sich im Hintergrund ein Vorhang mit Wolken befindet. Störsignale und Nachrichtenstimmen, die von Populismus, „ihrer Stadt“ und „normalen deutschen Bürgern“ sprechen, scheinen die Performerinnen zu quälen. Sie verrenken sich, gehen zu Boden, werden gefoltert. Sie können unter der Last der Vorurteile und des Rassismus nicht länger bestehen.

Regisseurin Julia Wissert heißt das Publikum damit eindrucksvoll in ihrem Experiment willkommen. „2069 – Das Ende der Anderen“ handelt von zwei Wissenschaftlerinnen aus der Zukunft, der Utopie des Jahres 2069, in dem es das „Andere“ oder das „Fremde“ nicht mehr gibt. Nun werden sie ins Jahr 2019 (also weit in die Vergangenheit) geschickt, denn in diesem Jahr hat sich die Welt verändert. Ein Nebel löschte die Menschen aus, die in Kategorien denken. Nur eine Gruppe von Jugendlichen, die sich nicht um Hautfarbe und Herkunft scheren, hat überlebt. Tatsächlich wurde das Stück gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt, die auch den Text mitgeschrieben haben. Wobei man sich allerdings fragt, welcher Text gemeint ist, denn davon gibt es nicht viel.

Im Grunde kommt die Inszenierung gut ohne Sprache aus. An zwei Stellen werden zwei Sätze über der Bühne projiziert. Aber die Performance der Schauspielerinnen (Gina Haller und Jing Xiang) ist viel zu spannend, als dass man den Text lesen will. Ihre Bewegungen lassen viele ästhetische Bilder entstehen, ihre Körper erzählen eine Geschichte, die sich allerdings nicht erschließt. Erwähnenswert auch die Gestik: Zu Beginn bewegen sie sich parallel, fast synchron. Sie kommunizieren kaum über Sprache, vielmehr über ihre Körper, über ihre Gefühle und ihre Mimik. Am Ende wird die Bewegungssprache individueller und die Performerinnen gehen ihre eigenen Wege, kommen dabei aber immer wieder zusammen, bleiben sich ähnlich.

Das Faszinierendste an der Inszenierung ist neben den herausragenden Performerinnen das Bühnenbild von Moïra Gilliéron, welches hauptsächlich aus Folie, Plastikstühlen, Spiegeln, einem Zelt und ganz viel Nebel besteht und dadurch etwas Mystisches sowie Futuristisches hat. Ohne diese beiden Komponenten hätte der Abend nicht viel zu erzählen. Nur hin und wieder gibt es einige interessante Dialoge. Während die eine etwa wiederholt gequält „Japan? China?“ fragt, antwortet die andere „Herne“. Dazu verkrampfen sich ihre Körper, sie zittern, sie werden malträtiert, sie sind diese Fragen und Vorurteile nicht gewohnt. Im Jahr 2069 ist alles anders und es peinigen sie die Wunden der Vergangenheit.

Die Bildschirme links und rechts von der Bühne werden kaum eingesetzt, nur am Ende werden auf ihnen Porträts der beteiligten Jugendlichen gezeigt. Am Schluss erklärt eine Stimme aus dem Off, worum es eigentlich geht, und fordert die Zuschauenden zum richtigen Handeln auf. Das ist mehr als ostentativ und als Schluss denkbar unpassend. Ebenso fragwürdig ist der Spielcharakter der Inszenierung: Zu Beginn starten die Performerinnen auf einem bestimmten Level. Sie müssen verschiedene Hindernisse in der Vergangenheit überwinden, um am Schluss ein Level höher zu steigen, was aber nur schwach abgesetzt wird. Knapp 55 Minuten dauert der Abend – da hätte man sich deutlich mehr Zeit nehmen dürfen.