Zimmerschlacht um die Macht? Stefanie Rösner und Jonas Eckert in "Momentum" von Lot Vekemans

Hoch konzentriert

Lot Vekemans: Momentum

Theater:Theater Aachen, Premiere:11.01.2019Regie:Jenke Nordalm

Lot Vekemans neuestes Stück „Momentum“ hatte im Oktober in Düsseldorf Premiere. Das Theater Aachen spielt das dichte Kammerspiel um ein von Machtverlust bedrohtes Politikerehepaar als erstes nach. Und beeindruckt mit einer sehr konzentrierten, schnörkellosen Umsetzung des nicht wirklich einfachen Stückes.

Lot Vekemans neuestes Stück „Momentum“ hatte im Oktober in Düsseldorf Premiere. Das Theater Aachen spielt das dichte Kammerspiel um ein von Machtverlust bedrohtes Politikerehepaar als erstes nach. Und beeindruckt mit einer sehr konzentrierten, schnörkellosen Umsetzung des nicht wirklich einfachen Stückes.

Man spielt nicht auf der großen Bühne, sondern in der „Kammer“. Und die Intimität des 200 Zuschauer fassenden Raumes unter dem Dach des Aachener Hauses bekommt dem Stück außerordentlich. Ganz schlicht hat  Vesna Hiltmann diese ausgestattet, mit zwei Stühlen, einem Teppich und einer Reihe grauer, drehbarer Wandteile. Ganz nah dran ist man an den unverstärkt sprechenden Figuren, die die Regisseurin Jenke Nordalm alle auf derselben sozialen Ebene verortet. Hier spricht jederzeit Mensch zu Mensch (oder Abziehbild zu Abziehbild). Für die zurzeit auf den Bühnen recht beliebten Statusspiele bleibt kein Raum. Die haben Vekemans‘ Figuren in Aachen lange hinter sich. Sie rudern und ringen um den Boden unter den Füssen. Was man allerdings, einziger Mangel einer großartigen Inszenierung, dem jungen Poeten Ekram in Gestalt von Tommy Wiesner nicht wirklich glauben mag. Der bleibt konturenlos nett, gibt nur den Gesprächspartner für die Selbstentlarvung der Politikergattin Ebba ab. Nordalm und die vorzügliche, sehr subtil agierende Stefanie Rösner machen sie mehr noch als in der Uraufführung zum Kraftzentrum des Abends. Da will jemand unbedingt im Rampenlicht bleiben, ist süchtig danach und will jetzt gerne auch selbst Macht ausüben. Und denkt, dass es allen anderen Menschen genauso geht, dass sie dasselbe wollen müssen, aber weniger schön, weniger stark sind als sie. Und weiß das im nächsten Moment nicht mehr. Bekommt Angst, hält sich mit und an Drogen fest. Rösner spielt das fast ohne Exaltationen, auch nicht in der Konfrontation mit ihrem ungeborenen Kind. Das wird gespielt von der über 70-jährigen Schauspielerin Elisabeth Ebeling, ganz abgeklärt, mit wenigen kindlichen Posen und ohne emotionalen Überdruck. Eine Nemesis ohne Existenzangst.

Bleiben Meinrad, der Regierungschef und Dieter, sein Berater. Die sind hier nicht, wie in Düsseldorf, ansatzweise Faust und Mephisto, sondern irgendetwas zwischen Vladimir und Estragon und Dick und Doof. Sie überbieten sich geradezu an Müdigkeit, wobei Dieter sich fast nie gehen lässt und Meinrad das zunehmend tut, bis hin zur Lächerlichkeit. Und doch strahlt Jonas Eckert jederzeit einen Rest Eleganz aus, weist glaubhaft nach, dass er Energiezentrum einer Regierung, einer Partei, eines Landes sein könnte. Man glaubt ihm seine Wutausbrüche vor der Presse und mag seinen Restcharme. Den hat Torsten Borm als Dieter nicht. Er ist ein Technokrat, ein Handwerker der Macht, der, wenn er es nicht so genau weiß, gerne auch die Trial-and-Error-Methode anwendet, um wenigstens seine Haut zu retten. Erbärmlichkeit, wo man hinsieht. Leben live, dargeboten in höchster Konzentration. Die durchaus vorhandenen Schwächen des Stückes fallen bei dieser Performance nicht ins Gewicht.

Und zum Ende hin gibt es ein großes Bild im kleinen Theaterraum. Die komatöse Ebba steht auf einer pendelnden, ein Meter hohen Plattform und die Herren der Schöpfung suhlen sich in Eitelkeit und Selbstmitleid. Und doch ist das Ende positiv. Meinrad erkennt Ebbas Herrscheranspruch nicht an, muss ihr Ansinnen, ins zweite Glied zu treten und ihre Kandidatur ums Spitzenamt erst verdauen. Aber beide gehen Hand in Hand von der Bühne in die Öffentlichkeit. Und diese Geste wirkt echt, nicht nur repräsentativ. Hat der Mensch an der Macht vielleicht doch eine Chance, Mensch zu bleiben? Es ist eine Qualität der Aachener Inszenierung, dass sie diese Frage stellt, ohne in Klischees abzugleiten.