Puppenspieler Lorenz Seib in "Momo"

Hoch am Zirkushimmel

Pascal Dusapin nach Leigh Sauerwein: Momo, der kleine Zirkusjunge

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:09.05.2020 (UA)

„Momo, der kleine Zirkusjunge“ heißt eine Oper für Kinder zwischen vier und sieben Jahren von Pascal Dusapin, die die Bayerische Staatsoper München jetzt erstmals im Streamingformat zeigt. Durch die sehr nahe Kameraführung wird der Charakter des Sitzkissenkonzerts in der Parkett-Garderobe des Theaters mit seiner Wohnzimmeratmosphäre gut eingefangen. Denn die Kinder sollen ganz nah dran sein an der Bühne und allem, was dort so passiert. Und da ist allerhand los, das lässt bereits die munter hüpfende Geigenmelodie mit ihren kraftvollen Celloakzenten zu Beginn vermuten. Östliche Folklorethemen und Marschrhythmen blitzen hier immer wieder auf. Und dann sieht man auch schon den Helden der Geschichte, den Jungen Momo, wie er ausgestreckt in der Mitte eines Kreises liegt, der an eine Zirkusmanege erinnert.

Puppenspieler Lorenz Seib moderiert nach dieser musikalischen Einstimmung seine Geschichte in dem neuen Streamingformat mit einer direkten Ansprache der Kinder an. Hinter ihm wird ein mit fröhlichen bunten Glühbirnen versehener roter Rahmen sichtbar, in dem sich die bunte Manegenwelt Momos abspielt. Zirkusatmosphäre kommt auch durch die betressten Phantasieuniformen der Musiker auf, die im Halbkreis zu beiden Seiten des Puppenspieler-Guckkastens sitzen. Zunächst stellt Lorenz Seib Geigerin Johanna Beisinghoff, Cellist Clemens Müllner, Klarinettist Markus Schön, Gitarristin Stefanie Böhm und Komalé Akakpo am Hackbrett vor, das die volkstümliche Klangnote beisteuert. Er führt auch humorvoll und anschaulich aus, wie diese Instrumente gebaut sind und gespielt werden, zum Anfassen eben, zumindest gedanklich.

Wehmütig schluchzende Geigenklänge von größter Eindringlichkeit machen klar, dass die Welt des kleinen Momo sehr bewegt und vor allem exotisch, aber auch nicht so ganz einfach ist. Währenddessen hat Lorenz Seib angefangen, seine Bühne mit ihren Figuren aufzubauen. Die Wagen sieht man da, in denen der Zirkus immer weiter fährt, von Stadt zu Stadt. Und dann fängt Lorenz Seib an zu spielen und zu erzählen.

Den Zirkus dominiert die Überfigur von Momos Großvater, dem großen Hubertot. Er ist ein berühmter Clown. Und Momo soll später einmal seinen Platz einnehmen, wenn Hubertot zu alt ist. Aber Momo kann ihm einfach nichts recht machen. Er ist sich auch gar nicht sicher, ob er wirklich ein großer Clown werden will. Er schaut viel lieber der Akrobatin Bettina beim Klettern zu und will da mitmachen. Doch für seinen Großvater kommt so etwas nicht in Frage. Momo soll sofort aufhören, er könnte sich ja den Hals brechen. Doch er kann einfach nicht so stolpern und Menschen zum Lachen bringen wie sein Großvater. Der schickt ihn barsch weg, die Tiere füttern. Wenigstens das wird er doch wohl fertigbringen. Immer trauriger wird Momo deshalb, kauert sich geknickt in die Ecke. Die Zirkustiere kommen ihn trösten: „Wenn du wissen willst, wer du wirklich bist, schau‘ nicht dauernd auf deine Füße, schau‘ in die Höhe – schau‘ in die Sterne“, so machen sie ihm Mut. Und Momo klettert die lange gelbe Strickleiter am rechten Bühnenrand empor, immer höher und höher, schwingt sich am Trapez unter der Kuppel immer weiter und weiter.

Eine buntfarbige Melodie lebt diese Selbstentdeckung und -entfaltung Momos mit aus, Momo hat seine Bestimmung gefunden. Das muss dann auch der Großvater einsehen, als er dort oben wie ein Vogel durch die Luft fliegt, zu einer rhythmisch prägnanten Weise in schwerelosem Fluss. Lorenz Seib bewegt seine sehr einfachen und dadurch kindgerechten Figuren und Kulissen direkt und auch bewusst sichtbar mit der Hand, nicht an einem Gestänge. Nicht nur die Figuren, auch die Bilder „laufen“ so in seinem fesselnd gestalteten und erzählten Spiel. Er lässt den Bruch der Fiktion bewusst zu.

Dusapins Musik zeichnet dazu in einem frappierend transparenten kammermusikalischen Klangbild ein tönend bewegtes Panorama von großer harmonischer Komplexität und atmosphärischer Dichte. Lautmalerische Sequenzen lassen mit ihrer spezifischen Charakteristik an den „Karneval der Tiere“ denken in diesem spannenden Kinderspiel über die Suche nach dem eigenen Platz im Leben.