Szene aus "Wir sind das Klima"

Heute mal kein Steak!

Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima!

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:15.10.2021 (DSE)Regie:Patrick Wengenroth

Die Zeichen der Zeit sind ernst, wenn nicht gar bedrohlich. Dieses Gefühl drängt sich mit aller Wucht beim Besuch der deutschsprachigen Erstaufführung von „Wir sind das Klima!“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe auf. Rekurrierend auf den gleichnamigen Text des US-Erfolgsautors Jonathan Safran Foer wirbeln Fakten und Zahlen zur planetaren Umweltkrise nur so über die Bühne.

Besonders bestechend muten zwei davon an: Während der Verkehr – der gefühlt im Mittelpunkt aller politischen Debatten steht – lediglich ungefähr 14 Prozent des weltweiten CO²-Ausstoßes ausmacht, stellt die Landwirtschaft mit 24 Prozent einen der Hauptemittenten schädlicher Treibhausgase dar. Was also tun? Es hilft nur eine krasse Reduktion aller tierischen Produkte – hin zu einer weitestgehend pflanzlichen Ernährung! Lasst das Fleischessen, bewahrt die Natur und beendet das Leid der Tiere!

Innere Widerstände überwinden

Soweit zu den Botschaften und Ausrufezeichen dieses Abends, der Theater unverkennbar als Raum des Aktivismus beschreibt. Wachgerüttelt und reichlich geschult wird man von sechs Spieler:innen. Alle tragen übergroße, weiße Latzhosen und bunte Hemden. Mal umarmen sie sich, um sich gegenseitig angesichts der drohenden Apokalypse zu trösten. Mal geraten sie in Streit oder sinnieren über die Möglichkeit, einen zweiten Planeten zu besiedeln. Wie in einer Kreisbewegung kommen sie dabei immer wieder zur Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln. Sie ringen mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit, streng auf Milch und Eier zu verzichten, schwanken zwischen Resignation und Widerstand.

Um das didaktische Setting und den Schrecken der Realität zu durchbrechen, lässt Regisseur Patrick Wengenroth seine Akteur:innen abwechselnd singen. Diese Lockerungsübungen innerhalb eines weitestgehend statischen Arrangements gehören zu den Höhepunkten der Darbietung – inklusive reichlich zynischem Humor. Wenn nicht zu Disco-Licht gerade das „Herz aus Hack“ besungen wird, das ein Verliebter einer Metzgerin schenkt, vernimmt man Songs zur Heilung der kaputten Erde. „Rette die Welt“, lautet der Refrain eines Schlagers. Nachdem dazu der Raum eingenebelt wurde, beginnt das große Husten. So erweist sich das weiße Gas rasch als Bild für den zu hohen Kohlenstoffdioxidgehalt in der Luft.

Unbequemes Theater

Gewiss lebt die Premiere von dem außerordentlichen Einsatz der Schauspieler:innen. Allen voran Frida Österberg und Thomas Schumacher bieten eine überragende Show. Aber genügt uns ein solches Format? Genügt uns der kluge Text des Autors oder das spärliche Bühnenbild, das sich vor dunklem Vorhang aus schwarzen und gelben Streifen (also den Gefahrenstofffarben) auf dem Parkett zusammensetzt? Sichtlich der Buchvorlage erlegen, weiß der Regisseur abseits einiger Effekte kaum eine überzeugende, mitreißende Idee zu entwickeln. Kurzum: Es mangelt ihm an kompositorischer Vision.

Obwohl kaum eine ästhetischer Funke überspringt, offenbart die Inszenierung eine Dringlichkeit, die nicht ausschließlich aus dramaturgischen Gründen bestritten werden sollte. Dieses Theater ist Teil einer spätmodernen Aufklärung und einer zivilgesellschaftlichen Verantwortungsethik. Selten zuvor wurde übrigens das Leid der Tiere, die am Ende in übergroßen Plastikfiguren auf der Bühne liegen, derart forciert in den Blick einer Stückrealisierung genommen. Allein das ist ein Gewinn. Wir werden eines Theaters gewahr, das – zum Glück – ziemlich unbequem sein will.