Tjark Bernau, Stephanie Leue, Annette Büschelberger, Lou Strenger und Justus Pfankuch im Theaterfilm „Isola“.

Henkersfestmahl

Philipp Löhle: Isola

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:26.02.2021 (UA)Regie:Sami Bill, Jan Philipp Gloger

„Wir sollten feiern, solange es noch geht!“ Der Satz könnte während des ersten Lockdowns 2020 gesagt worden sein. Tatsächlich legt ihn Philipp Löhle in seinem jüngsten Drama einer ahnungsvollen jungen Frau in den Mund, die rund 200 Jahre zuvor im Schloss des Grafen Wilhelm Friedrich von Munk zu Gast ist. Auf dessen Fest verhageln zwei kurz nacheinander Verblichene die ohnehin wenig ausgelassene Stimmung; die Ankunft des Totengräbers wenig später tut ein Übriges.

„Isola“ heißt das Stück des renommierten Autors, das „Anno 1838 im Land der Burgen und Schlösser und Kleinstaaterei“ spielt. Das Auftragswerk des Staatstheaters Nürnberg entstand während der Pandemie im vergangenen Jahr und macht genau diese zum Thema, verlagert die ISOLAtion indes in ein biedermeierliches Szenario. Jan Philipp Gloger inszenierte, doch als im Herbst feststand, dass es keine Uraufführung auf der Bühne geben wird, entschloss man sich, einen Theaterfilm „nach der Inszenierung von Gloger“ daraus zu machen. Diese Uraufführung vor dem Bildschirm sahen etwa 500 Zuschauer am gestrigen Abend.

Die Parallelen sind klar: Der Hausherr (Tjark Bernau) trägt keine FFP2-, sondern eine dunkle Schnabel-Maske, die sowohl an Karneval als auch an den Pestarzt erinnert. Nach zwei Todesfällen ist der sechsköpfigen Gesellschaft nicht mehr feierlich zumute, sie verschanzen sich in einem Saal des Schlosses, horchen ängstlich an den Türen und mutmaßen über „das Fremde“ jenseits der Mauern. „Da draußen ist unser Feind. Er ist unsichtbar. Flüchtig. Und auf dem Vormarsch“, resümiert von Munk, der einen Angriff auf seine Grafschaft, gar aufs ganze Land wittert. Der jungen Esoterikerin gelingt ein Dialog mit der abstrakten fremdartigen Bedrohung, die auf ihre Fragen mit sphärischer Stimme antwortet, sie sei weder tot noch lebendig, sondern reine Information – das sprechende Virus grüßt aus dem Off. Daraufhin raunzt ausgerechnet die anwesende Wissenschaftlerin: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ So kommen unterschiedliche Standpunkte zu Wort, wie im Hier und Jetzt – allerdings eingebettet in ein grau-gruseliges Bühnenbild und die Atmosphäre einer Edgar-Allan-Poe-Geschichte.

Die zweite Ebene, als Zwischenspiele filmisch durch einen schwarzen Hintergrund abgesetzt, erzählt von Prof. Ambrosius Freudenbach jr. (Maximilian Pulst), einem Freund des Adeligen, der sich der Insektenforschung verschrieben hat. In einem seiner Intermezzi erzählt er gekonnt schulmeisterlich von einer Besonderheit: einer Raupe, die sich zunächst unter Wasser verpuppt, um dann doch als Schmetterling aufzusteigen – die Metapher dürfte deutlich genug sein. Vom Totengräber (Raphael Rubino) erfährt der Forscher vom Schicksal seines gräflichen Freundes, macht sich zu ihm auf den Weg – und wird irrtümlich für den potenziellen Mörder beziehungsweise jene fremde unfassbare Gefahr gehalten, die offenbar durchs Schloss geistert. Diese Verwechslung kostet ihn das Leben…

„Es ist noch nicht vorbei!“ Die letzten Worte des Stücks gehören dem Gastgeber, könnten aber auch von Prof. Dr. Lothar H. Wieler vom Robert Koch-Institut stammen. Wie die Inszenierung live irgendwann auf der Bühne wirkt, bleibt abzuwarten. Unter der Filmregie von Sami Bill leidet sie an einem Zuviel der eingesetzten Mittel. Farb- und Lichtwechsel, inszenierte Bildstörungen, sich scheinbar verformende Türen und schwankende Räume braucht dieser großartige Text nicht. Projektionen aus Schmetterlingen mit einem minimalen Menschenkörper zwischen den Flügeln sind purer Kitsch. Auch das filmische Fokussieren auf eine bestimmte Figur ist dem Verständnis des großen Ganzen nicht immer zuträglich und mündet mitunter in Effekthascherei. In diesem Fall ist kein neues Genre, sondern ein ermüdender Abend entstanden.

Der Stream ist bis 28.02.2021 auf Youtube frei zugänglich (Anm. d. Red.).