Würde der Zuschauer den Besuch dieser Vorstellung mit einem Kopfstand eröffnen, könnte er nur das in aller Einsamkeit verkehrt auf den Zwischenvorhang gekritzelte Wort „Hope“ als Leitmotiv für den Einstieg bestimmen. Gelenkt hoffnungsvoll ist also der erste Blick auf das Musical „Lazarus“ von David Bowie und Enda Walsh im Staatstheater Nürnberg. Was auch heißt: Jenseits der Ordnung und gerne auch gegen sie. In der besenreinen, von Nebelschwaden bedrohten Airport-Abfertigungshalle verteilt eine wenig später auch singende Reinigungsfachkraft zunächst sorgfältig Müll aus der Tüte, damit der normale Verwüstungszustand der Zivilisation glaubwürdig hergestellt ist. Auf der Wartesaal-Bank kämpft derweil ein einsamer Mann namens Newton eigentlich mit dem großen Ganzen, zunächst jedoch kleinteilig mit seiner defekten Musikkassette, drückt die klemmende Taste, zerrt am durchhängenden Tonband, horcht auf die eiernden Anfangstöne eines Hits, der gleichzeitig Nerven tötet und Erinnerung weckt: „Hello, Mary Lou“.
Eine verflossene Liebe, fremdgeschämt im Zitat der Evergreen-Schnulze, beutelt das Gemütsleben des Mannes. Aus der Zeit gefallen und, wie der wahre Fan von David Bowie seit 1976 weiß, auch aus dem Himmel. Ein Außerirdischer also, bei der Suche nach dem Überleben trotz Energiekrise einst auf Erden gelandet, nun der Schwerkraft und den eigenen Halluzinationen ausgeliefert. Seit seiner cineastischen Geburt ist der Leasing-Star zum Alter Ego der Pop-Kunstfigur mit dem wechselnden Existenz-Design mutiert: Bowie, ein Chamäleon als Ikone. Was ihn so sehr prägte, dass die 40 Jahre später mit dem Autor Enda Walsh beschlossene Schaffung des ersten und einzigen eigenen Musicals entlang am Spalier der Song-Auslese geradezu zwangsläufig wie ein Vermächtnis wirken muss. Mary Lou gehört nicht zum Bowie-Erbe, eher zu den Dämonen, die seine theatralische Auftrags-Figur quälen. Eine Liebe, die wahrhaftig sein und zugleich Illusion bleiben kann – wie alles, was hier den Anspruch auf Realität erhebt.