Sharon Eyal zieht den Zuschauern den Boden unter den Füßen weg. Je mehr die Tänzer, die sie in „Soul Chain” streng arrangiert, auf dem Boden beharren. Auf dem Areal, das sie besetzen, durchqueren, durchkreisen, belegen, abmarschieren, aber nie verharrend, immer auf dem Weg, vorwärts, rückwärts. Ist das eine Gruppe Angepasster, Mitläufer? Oder sind das Einzelne, die irgendwie zusammengeschoben und auf eine rhythmische Spur gesetzt wurden? Wer sind die? Was treibt die an? Nie sind die Formationen so eindeutig, dass man sie mit einem Begriff festtackern könnte, doch werfen sie manchmal einen Schatten in die Erinnerung, oder umgekehrt: Aus einer kollektiv erinnerten Geschichte treiben manchmal Bildmomente durch diese seltsam angestrengte Gesellschaft. Einerseits haben diese siebzehn Figuren in den hautfarbenen Trikots, hellen Kniestrümpfen und der angespannten Haltung etwas von Aliens oder Avataren, wie sie immerzu auf den Fußballen stöckeln, ohne Stöckel unter den Fersen. Andererseits sind sie, fast schminke- und grimassenlos, viel menschlicher als in früheren Stücken der israelischen Choreographin.
Gemeinsam mit ihrem Arbeitspartner Gai Behar, dem Lichtdesigner Alon Cohen, der den Tänzern auf der dezent durchnebelten Bühne keinerlei Gemütlichkeit gönnt, und gemeinsam mit dem Elektronikkomponisten Ori Lichtik erschafft Sharon Eyal eine Atmosphäre der Unerbittlichkeit, der eisig ehrlichen Künstlichkeit und unnahbaren Nähe. Zu Beginn spazieren Tänzer paarweise und einzeln über die Bühne, erhoben auf halbe Spitze, die Hände über die Leisten geklemmt, als hielten sie einen Gürtel. Die Ellenbogen ecken aus, die Brust ist herausgewölbt. So halten sie an sich, wie Leute im Korsettjahrhundert, disziplinierte Nijinsky-Faune. Augen geradeaus, immer im Takt der Musik, mit minimalem Schulternschieben, rechts-links-rechts-links. Doch plötzlich wendet der eine junge Herr dabei sein Gesicht dem Kompagnon zu. Der stiert geradeaus. Und die eine, vielleicht zärtliche Frage läuft ins Leere. Eine andere aber wird beantwortet, als zwei Blicke sich treffen über die gesamte Bühnenbreite hinweg und durch den ganzen anderen steifäugig marschierenden Trubel hindurch gehalten wird. Er und sie. Als die gesamte Menge sich zur Parade formiert, zur Kette, „chain”, schiebt er sich zu ihr ans Ende. Aber das hält das Getriebe nicht auf.