Szene aus "Die Frau ohne Schatten" in Mailand.

Gesundheitsschlaf und Traumdeutung

Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten

Theater:Teatro alla Scala, Premiere:11.03.2012Regie:Claus GuthMusikalische Leitung:Marc Albrecht

Die Frau ohne Schatten, dieses tiefgründige oder auch mystisch verquaste Mutterschafts-Monstrum von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ist selbst für große Häuser eine Herausforderung. Vom straussversierten Orchester abgesehen, haben es allein schon die fünf Hauptpartien in sich. Mailand bietet Johan Botha als Kaiser auf, der mehr statisch als agierend, aber doch gereift und mit seiner mühelosen Höhenkraft einfach unschlagbar ist. Auch Falk Struckmann als Barak ist ohne übertrieben balsamische Güte, mit kraftvollem Auftrumpfen imponierend, aber von seiner Unart, jeden Vokal einzeln einzuzingeln und zu erlegen, wohl nicht mehr wegzukriegen. Michaela Schuster hat Claus Guth die Amme auf den Leib geschneidert. Stimmlich ohnehin in ihrem Element, erspielt sie sich den Darsteller-Lorbeer des Inszenierung. Noch vor Elena Pankratovas Färberin, die ihren Barak auch ohne hysterische Übertreibung zur Weißglut zu bringen, aber auch das durchscheinen zu lassen vermag, was der in seiner exzentrischen Frau sehen will. Emily Magee schließlich braucht nach einem etwas geschärften Auftakt eine Weile, wird aber dann zu einer überzeugenden Kaiserin. Sie hat obendrein die Schlüsselrolle in Claus Guths Interpretation. Oder besser: in seiner Diagnose.

Der Bühnenfachmann fürs psychologische Ausloten reflektiert das, was Hofmannsthal und Strauss aus den Umwälzungen ihrer Zeit ins Märchenhafte übersetzt, man könnte wohl auch gut sagen ziemlich verquast projiziert und verrätselt haben, wieder zurück auf die Gemengelage des Gefühlshaushaltes einer Welt, bei der das biologische Funktionieren als Mutter den Wert einer Frau bestimmt, während sich der Mann im doppelten Wortsinn als Jäger (auch der Frau), Erzeuger und Ernährer zu verstehen hat. Übergriffe inklusive.

Guth macht aus der Geschichte den möglicherweise heilenden, von Alpträumen geschüttelten Schlaf einer vom Druck ihrer Kinderlosigkeit erkrankten Frau. Seine Therapie aber ist nicht die Flucht ins patriarchalische Rollenverständnis einer selbst gemachten Großfamilie, sondern ein Zu-sich-Kommen als Mensch unter Menschen. Rechtzeitig, wenn man schon befürchten muss, dass überm Schlussbild der frohgemut auf dem Fluss des Lebens dahin rudernden, potenziellen Großfamilien der zwei Paare segnend der Papst erscheint oder das Mutterkreuz aufleuchtet, schaltet Guth zurück ins klinisch analytische Ambiente. Zu den letzten Tönen platziert er seine Patientin ans Fenster in dem geschwungenen, mit dunklem Holz furnierten Raum. Hier hat Bühnenbildner Christian Schmidt Türen für Auf- und Abtritte eingebaut, durch die immer wieder die übermächtige Vatergestalt mit gehörnter Maske bedrohlich fordernd auftaucht, durch die aber auch, nach einem Akt der Emanzipation, die verstoßene Amme in ihrem Kahn verschwindet. Und durch die die Kaiserin zu ihrem menschlichen Alter Ego, der Färbersfrau, wie zu einem verborgenen Teil in sich selbst vordringt. Im Zentrum hat diese Rückwand eine Art Riesendrehtür, mit der das Interieur des Unterbewussten herbeigerufen wird, das der Frau (und uns) zu schaffen macht. Von den bedrohlichen Felsklüften für den kaiserlichen Jäger-Gatten bis zum Verhandlungssaal, in dem eine amtliche Instanz über die Kinderlosigkeit und Gattentreue Gültiges verlautbart.

Am Ende, wenn die Patientin ihr Krankenlager verlassen hat, ist das ganze in den großen Traum hineingedeutete Personal, samt der menschelnden Alter Egos und fantastisch verdrängenden Tiergestalten verschwunden. Wie gefährdet diese Genesung durch Selbstbestimmung ist, das kann man auf dem Gesicht jener zurückbleibenden Krankenschwester ablesen, die der Amme verteufelt ähnlich sieht…. Claus Guth ist eine präzise, geradezu klinische Versachlichung gelungen, und das mit surreal opulenten Bildern!

Marc Albrecht konnte am Pult des exzellent auf deutschen Abwegen wandelnden Scala-Orchesters bei der durchweg aufgebotenen vokalen Stimmkraft ohne falsche Rücksicht seinem Stern folgen. So bezwangen Dirigent und Orchester zielsicher und doch mit Leidenschaft, zwischen transparenter Klarheit und aufscheinender Opulenz dieses Klanggebirge.