Foto: Papierfetzen als Requisiten, Puppenspieler helfen der Krabbe auf die Sprünge – Esembleszene aus „Iskhalo somlambo/Der Ruf des Wassers“ am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Manfred Jahnke, am 13. Juli 2022
Im Schatten der gegenwärtigen documenta fifteen mit ihrer Diskussion um koloniale Verhaltensweisen lässt ein Begriff wie „Interkontinentale Stückentwicklung“ aufhorchen: Wenn da ein bundesdeutsches Staatstheater (Augsburg) mit Unterstützung der Bundeskulturstiftung mit einem südafrikanischen Figurentheater, den Ukwanda Puppets, zusammenarbeitet, ist solcher Argwohn nicht weit. Den Machern vom Staatstheater Augsburg geht es indes um den globalen Gegensatz von Nord und Süd und um die Frage nach der Verteilung der Wasserressourcen in der Welt.
Die Freigiebigkeit der Krabbe
Als Andreas Hillger, in der Spielzeit 2017/18 Hausautor, 2018 in Kapstadt weilte, gab es dort eine große Dürre, eine extreme Wasserrationalisierung stand im Raum, zugleich beantragte die Stadt Augsburg erfolgreich, ihr besonderes tradiertes Wasserkanalsystem als UNESCO-Weltkulturerbe anzuerkennen. Mangel an kostbaren Grundgütern des Lebens einerseits, (noch) Überfluss andererseits werden in zwei Märchen thematisch, die die Grundstruktur von „Iskhalo somlambo/Der Ruf des Wassers“ prägen. Da ist zum einen die Geschichte vom Mädchen, dass in Zeiten einer großen Dürre nach Wasser für ihre kranke Großmutter sucht. Endlich findet sie eine von einer Krabbe – wobei „crab“ auch Taschenkrebs bedeutet – gehütete Quelle, diese gibt ihr Wasser, wenn sie den Ort nicht verrät. Das Mädchen trifft bei der Rückkehr auf Menschen, die dringend Wasser benötigen. Sie gibt es ihnen, kehrt ständig zur Quelle zurück, bis sie an ihre kranke Großmutter erinnert wird. Auf den Weg dorthin wird sie wieder von kranken und bedürftigen Menschen bedrängt und sie verrät die Quelle, die versiegt. Die Krabbe muss sich auf Wanderung nach Wasser begeben.
Die Geldgier des Storches
Das andere Märchen erzählt von einem Wassermeister, der, wie die Szenerie in einem Video andeutet, aus Augsburg kommt, der dafür sorgt, dass alle Menschen der Stadt gleichermaßen Wasser bekommen. Als er von den Reichen immer mehr Geschenke erhält, erwacht die Gier in ihm, er gibt den Wohlhabenden mehr, die Kluft zwischen arm und reich wird so immer größer. Trotz Ermahnung übermannt den Wassermeister die Gier immer mehr, bis er schließlich in einem Storch verwandelt wird, ohne dass die Ungleichheit aufgehoben würde: ein wunderbares poetisches Bild dafür, wie der Kapitalismus mit den Ressourcen der Welt umgeht. Krabbe und Storch treffen aufeinander. Zunächst hat die Krabbe Angst, gefressen zu werden. Aber beide tun sich auf der Suche nach Wasser zusammen und ziehen durch die Welt, die immer mehr verdorrt und Feuer (rotes Licht) sich ausbreiten.
Wissenschaftliche Fingerzeige und moralischer Zeigefinger
Statt der poetischen Kraft der Märchenerzählungen zu vertrauen, werden allerdings von „Andreas Hillger und Ensemble“, die als Autoren genannt werden, wissenschaftliche Fingerzweige und moralische Appelle eingestreut, auch überflüssige Hinweise wie auf die Brände in den Wäldern Brandenburgs im Juni 2022. Die Inszenierung von Dorothea Schroeder betont dabei stark den Erzählcharakter: Das sechsköpfige Ensemble sitzt häufig frontal zum Publikum und erzählt in Xhosa, Englisch und Deutsch die Geschichten. Die Bühne von Luyanda Nogodlwana, eine mehrstufige Podestlandschaft, nach hinten abgeschlossen durch weiße Streifen, die die Projizierung von Videos ermöglichen, wird dominiert von zwei langen aus dem Schnürboden herabhängenden Papierstreifen, die zu heimlichen Spielakteuren werden. Immer wieder reißen die Darsteller Stücke ab und formen daraus Bäume und Rundhütten oder eine Ziege, in einer Szene auch Kostümteile (Kostüme: Marie Wildmann).
Der Clou sind die Puppen
Schroeder mischt die Formen eines Erzähltheaters mit partizipativen Momenten – Ratespiele für das Publikum – und Videos, die aus Papier geformte Landschaften zeigen. Clou der Inszenierung aber sind die von den Ukwanda Puppets & Designs Art Collective gebauten Großpuppen von Krabbe/Krebs und Storch, die beide in unterschiedlich großen Formaten vorgeführt werden. In normaler Größe werden sie von drei Figurenspieler:innen geführt, als überdimensionierte Puppe wird am Schluss der Krebs, der fast die gesamte Spielfläche einnimmt, vom Ensemble gemeinsam geführt. Sowohl als Schauspieler wie als Figurenspieler brillieren Siphokazi Mpofu, Sipho Ngxola, Luyanda Nogodlwana, Thomas Prazak, Franziska Rattay und Karoline Stegemann. Mit Schlagwerk und Kochtöpfen begleitet Fabian Löbhard die Inszenierung eindringlich rhythmisch.
Auf der Märchen- und der Figurenebene entsteht eine eindrückliche Inszenierung, die vorführt, wie wir mit den Ressourcen dieser Welt umgehen. Aber in den Momenten, in denen der subjektive Bezug der Akteure zum Ausdruck kommen will, rutscht sie ins Private ab: Warum soll ich als Zuschauer wissen, dass die beiden Spielerinnen aus Halle kommen? Ach ja, die Reise von Krabbe und Storch endet natürlich in Augsburg am Augustusbrunnen auf dem Rathausplatz. Während der Storch verschwunden ist, hat die Riesenkrabbe alles Wasser der Welt bei sich…