Text:Ute Grundmann, am 13. November 2016
Jenny (19) hat keiner gefragt, ob sie Mutter werden will. Nun ist das Baby da, hat noch keinen Namen, ist aber schon rauschgiftsüchtig wie die Mutter. Vater Nico (17) ist überwältigt, aber noch in der Lehre zum Trockenbauer und versucht, allen Anforderungen gerecht zu werden – bis Jenny türmt, ohne das Kind. Das ist eine der Geschichten, die Dirk Laucke in seinem jüngsten Stück, „Vom Gefühl her: Fuck u!“, erzählt, für Zuschauer ab 13 Jahren.
Uraufgeführt wurde es jetzt am Landestheater Altenburg, in einer passenden, rasanten Inszenierung von Andreas Bauer. Im Heizhaus, der kleinen Spielstätte, ist eine helle Spielfläche ausgelegt, drumherum Mülltonnen, drauf Kissen und ein gläsernes Labor. Hier rattern die vier Akteure in Batman-Kluft erstmal die Vorurteile über „die Jugend“ herunter: „hat ja auch viel mit dem Elternhaus zu tun“, „man kann dem Staat nicht alles in die Schuhe schieben“, „die müssen arbeiten, bis es weh tut“ bis zu Hitlers „gutem Arbeitsdienst“. Dann legen die vier die Masken ab und werden zu dem, was sie sind: verunsicherte, suchende, zweifelnde Jugendliche.
Dabei geht es Laucke in seinem Stück vor allem um die Droge Crystal Meth, mit der er sich seit einem Jahr beschäftigt. Doch er tut das nicht vordergründig, auch wenn jeder der vier jungen Leute im gläsernen Labor mal federleichte Zuckerwatte produziert und konsumiert. Damit ist das Thema allgegenwärtig, aber es wird nicht plakativ abgehandelt. Stattdessen zeigen Laucke und die Inszenierung, zum Glück ganz ohne Zeigefinger, Situationen, in denen die Jugendlichen stecken, mit denen sie nicht klarkommen und deshalb zur Droge greifen. Da ist eben Jenny (Katerina Papandreou), ohne Schulabschluss, mit dem Kind überfordert, sie fürchtet, was an ihm kaputtzumachen. Nico (Johannes Emmrich) schwankt zwischen Vernunft, Verzweiflung und Übermut, weil das winzige Wesen im Brutkasten doch seine Tochter ist. Einmal kurvt er wieder und wieder um die Spielfläche, als renne er nicht nur dem verpassten Bus nach, sondern seinem Leben. Sam(antha) (Anne Diemer), 14 Jahre alt, träumt sich gelbe Flauschkissen zu Rapsfeldern und ein blaues Planschbecken zum See. Sie will aus ihrem Leben raus und zur Oma nach Berlin, für immer. Sie redet schnell und abgehackt, und lässt jeden Satz in einem lakonischen ‚kay enden. Ihr Bruder Kevin schließlich (Manuel Struffolino) geht mit Nico in die Lehre, nennt seinen Ausbildungs- einen Ausbeutungsplatz, beklaut die Firma statt auf seinen Lohn zu warten und preist das „meth“. Er rappt seine Texte, ist immer in Bewegung, zappelig und aufmüpfig. Und er, der Lockerste und Coolste, stellt eine der berechtigten Fragen des Stücks: Energydrinks seien, okay, Alkohol auch, wieso dann Drogen so verteufelt würden?
So nach und nach ändern sich die Konstellationen: Jenny und Kevin kommen sich näher, Samantha und Nico versauchen es auch, aber so, als hätte der andere Stacheln. Aber es gibt auch immer mehr Streit und stumme Ratlosigkeit. Und über allem hängt immer die Idee „wenn das nicht klappt, dann klappt es eben mit der Zuckerwatte“. Nico nimmt die kleine Tochter zu sich, will allein für sie sorgen, auch wenn das Kaution, Kinderbett und Wickeltisch bedeutet. Als Jenny mit Forsythien zum Geburtstag und zur Entschuldigung kommt, ist es eigentlich schon zu spät – besuchen wird sie ihr Kind dürfen. So klingt mit ein bißchen Hoffnung ein Stück für Jugendliche aus, das in Text und Inszenierung Ton, Haltung, Sprache junger Menschen trifft, ohne sich ans junge Publikum ranzuwanzen. Und die vier wunderbaren, präzisen jungen Darsteller halten die Szenen, die mit einem Buzzer am Boden an- und wieder ausgeknipst werden, über 90 Minuten in Spannung.