"Normalverdiener" von Kathrin Röggla, uraufgeführt am ETA Hoffmann Theater Bamberg

Geist des Kapitalismus

Kathrin Röggla: Normalverdiener

Theater:ETA Hoffmann Theater, Premiere:08.10.2017 (UA)Regie:Leopold von Verschuer

Als Sibylle Broll-Pape vor zwei Jahren das ETA Hoffmann Theater übernahm, wurde die Spielstätte mit einem Schlag jünger und moderner. Zeitkritischer auch. Auf einmal ging man wieder gerne in Bamberg ins Theater. Im Sommer nun fand der neu eingeschlagene Kurs seine Bestätigung in einer überregionalen Auszeichnung. Kulturstaatsministerin Monika Grütters verlieh dem ETA Hoffmann Theater für seine erste Spielzeit unter dem Motto „Heimat – Was ist deutsch?“ den mit 115.000 Euro dotierten Theaterpreis des Bundes.

Wer in Bamberg auf der Suche nach jungen Talenten oder Produktionen ist, die Sehgewohnheiten in Frage stellen, der wird vor allem auf der Nebenspielstätte, dem Studio, fündig. Da konnte man schon mit „Die Elixiere des Teufels“ einen E.T.A. Hoffmann auf Speed erleben. Oder mit Konstantin Küspert und dessen Stück „europa verteidigen“ auf kluge wie unterhaltsame Weise über die Zukunft des Kontinents nachdenken. Zur Belohnung gab es den Publikumspreis der diesjährigen Mülheimer Theatertage. Und nun, zu Beginn der neuen Spielzeit, entführt uns Regisseur Leopold von Verschuer mit der Uraufführung von Kathrin Rögglas „Normalverdiener“ auf eine Geisterinsel im asiatischen Irgendwo, von wo aus ein (oder sogar der) Gott des Geldes seine global vernetzten Fäden zieht.

Felsch heißt dieser vermeintliche Gott bzw. Dämon, der als Investor mit zumindest undurchschaubaren Finanzgeschäften zu immensem Reichtum gelangt ist. Der Clou, wie so oft bei Röggla, ist: Felsch selbst tritt nie in Erscheinung. Er ist die Leerstelle, um die die sechs (eigentlich sieben, aber dazu später) Normalverdiener unablässig kreisen, die sich auf seine Einladung auf dem Eiland einfinden. Um was dort zu machen? Die ehemaligen Schul- bzw. Studienfreunde Karsten (Architekt), Sandra (Agenturleiterin), Tine (Freiberuflerin), Sven (Arzt), Norman (Beamter) und Gebhart (Beamter) hoffen auf einen entspannten Urlaub mit Freizeitspaß von Wildwasserrafting bis Safari. Finden sich stattdessen aber zur Untätigkeit auf Felschs weitläufigem Gelände verdammt, das mehr Spa als Wohndomizil ist. Was einzig und allein bleibt, ist zu reden. Vor allem über den ob seiner Lebensleistung Ehrfurcht erweckenden Gastgeber, der so als Projektionsfigur Gestalt annimmt. Am Ende hat man sich um Kopf und Kragen geredet. „Man hätte nicht zu sterben brauchen und auch nicht den anderen beim Sterben zusehen“, heißt es einmal dunkel, und spätestens hier erahnt man eine mögliche Inspirationsquelle von Röggla, die sie ins Sozialkritische gewendet hat: „And Then There Were None“ von Agatha Christie.

„Normalverdiener“ ist ein Geisterstück, das mehr Fragen kennt, als es Antworten zu geben bereit ist, und, typisch Röggla, konsequent im Konjunktiv geschrieben ist. Wo liegt die Insel genau? Warum lässt sich Felsch nie blicken? Weshalb gesellt sich Johannes, der siebte im Bunde, nicht mehr zu den anderen? Wo ist der Philosoph und Hartz IV-Empfänger abgeblieben? Warum piepst es im Kühlzimmer unablässig, und was macht auf einmal der tote Körper im Swimmingpool? „Normalverdiener“ ist ursprünglich ein Hörspiel des Bayerischen Rundfunks gewesen, bei dem ebenfalls Leopold von Verschuer Regie geführt hat und das im letzten Jahr zum Hörspiel des Monats Juli gekürt wurde. Begründung der Jury: Röggla ziele „ins Herz der globalen Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse“.

Dieses Diktat der Ökonomie, so muss man „Normalverdiener“ lesen und verstehen, hat eine umfassende Kultur der Empathie- und Verantwortungslosigkeit entstehen lassen, die in Banken-, Finanz- und Schuldenkrise kumulierte. Umfassend heißt in Bezug auf das Stück, in dem das Reden über Geld mit dessen Beschweigen auf gespenstische Weise Hand in Hand geht: Nicht einzig und allein Felsch ist hier Täter, sondern ebenso sind es die Normalverdiener mit ihren klassischen Erwerbsbiographien. Indem sie sich nämlich scharf nach unten, von den Geringverdienern, abgrenzen und tatenlos zusehen, wenn andere Menschen Hilfe benötigen. Und genau hier kommt die Figur des Johannes ins Spiel, der ebenso wie Felsch nur als anwesender Abwesender durch das Stück spukt. Über den Hartzer, der sich nicht verteidigen kann, wird in einer Tour abgelästert. Er ist willkommenes Ventil und Opfer. Aber auf die Idee, einmal nach ihm zu schauen, kommt niemand. Dabei war er wohl der einzige, der Felsch die Meinung über dessen neoliberales Heuschreckengebaren gegeigt hat. Musste er vielleicht genau deshalb verschwinden?

Leopold von Verschuer ist ein ausgewiesener Kenner des Werks der gebürtigen Salzburgerin Röggla. Und diese Kenntnis merkt man seiner neunzigminütigen Inszenierung an, die geprägt ist von größtmöglicher Souveränität. Sparsame Personenführung, schlichte Einheitsbühne, gedimmte Beleuchtung, Lounge-Musik. Hier geht alles stimmig Hand in Hand, um das unheimliche Stück in Szene zu setzen. Die Vorsilbe „Un“ ist ja laut Freud und dessen berühmtem Essay „Das Unheimliche“ von 1919 „die Marke der Verdrängung“. Am Anfang schlummern die Schauspieler, eingetaucht in grünes Dämmerlicht und fest eingewickelt in weiße Handtücher, auf Massageliegen, Gurken auf den Augen, Quark im Gesicht. Und wie sie da so regungslos daliegen und erst allmählich mit- und übereinander zu reden beginnen, da befällt einen bereits die Ahnung, was die Liegen am Schluss bedeuten könnten: Totenbahren. Oder sind die sechs Normalverdiener gar von Anfang so etwas wie Zombies?

Das solide spielende Ensemble, aus dem niemand weder positiv noch negativ heraussticht, agiert mit reduzierter Bewegungssprache. Wenn man nicht herumliegt und spricht, steht man herum und spricht. Nur mit dem Unterschied, dass man sich zwischenzeitlich die Gurkenmaske vom Gesicht gewischt hat. Und dass ab und an eine Gestalt auf hohen Hacken hineinstöckelt, die den Normalverdienern u.a. Essen serviert. Mit ihrer bizarren Maske inklusive Geweih aber dann langsam aber sicher doch Schrecken zu verbreiten beginnt. Das Programm weist sie als „Geist des Kapitalismus“ aus. Und so lenkt so gut wie nichts von Rögglas Text ab, der das Nachdenken über den Wert des Menschen im durchökonomisierten 21. Jahrhundert mehr als lohnt: „Mit Verlusten wird nicht nur gerechnet, es wird darauf gesetzt. Das beste Pferdchen im Stall ist der Untergang, so läuft es doch, und dann kein Wunder …“