Martinu war kein Avantgardist, die Komposition von „Mirandolina“ erweist sich als Verbeugung vor Rossini und der Opera Buffa, eingängig, schnell, temperamentvoll, aber sie hat ihre Widerhaken. Schlag auf Schlag wechselt oft Ausdruck und Tempo, man kann sich nicht einhören in eine bestimmte Phrase. Diese ständigen Akzentwechsel ergeben sich nicht zuletzt aus dem Libretto, das Martinu in Anlehnung an Carlo Goldoni selbst geschrieben hat. Zwei Männer, ein Conte und ein Marchese, konkurrieren um die Gunst von Mirandolina, Besitzerin eines kleinen Gasthauses. Sie allerdings wirft ein Auge auf den Cavaliere Ripafratta, der sich aber, zumindest zu Beginn, als Weiberfeind erweist. Die Wortgefechte zwischen diesen streitlustigen Personen, bei denen oft die Satzfetzen nur so hin und her fliegen, werden fast immer gesungen. Bewundernswert, wie gut sich die Sänger in dieser Hektik schlagen, besonders Francesca Lombardi Mazzulli in der Titelrolle, sicher geführt von Michael Hofstetter.
Der Regisseur Zholdak tut nun alles, diese Hektik noch zu verstärken. Das beginnt schon mit der engen Bühne, gespielt wird vor dem Eisernen Vorhang und zum Teil über dem Orchester, der Orchestergraben ist halb abgedeckt. Ununterbrochen geschieht etwas, die Aktionen laufen oft neben der Handlung her, manchmal gegen sie. Statisten stehen als Engel oder Gekreuzigte an der Wand und werden angebetet und wieder vergessen. Es wird geschossen, mal mit Pfeil und Bogen, mal mit Pistolen. Und als Runnig Gag trägt immer wieder ein sehr bürgerlich wirkender älterer Mann Pflanzen und andere Requisiten, die nicht gebraucht werden, auf die Bühne und vergisst nie, sich über den Schnurrbart zu streichen.
Man versteht schon, was sich Zholdak dabei gedacht hat. Er inszeniert ein Chaos der Liebe, die Menschen tun in diesem Zustand wenig Sinnvolles, aber viel Unsinniges. Die Handlung wird immer wieder gebrochen, ins Extreme und Absurde getrieben. Aber Zholdak gelingt es nicht, hinter dieser Bühnenhektik eine zweite Ebene sichtbar zu machen, was Liebe in den Menschen tatsächlich anrührt. Es bleibt bei Gags und Rätseln.
Umso größer die Überraschung im dritten Akt. Ein längeres Orchestervorspiel fasst das Chaos der Akte 1 und 2 zusammen, und es kommt mehr Ruhe in die Musik und ins Spiel. Der ältere Mann trägt nach und nach die Pflanzen und Requisiten wieder hinaus, es wird mehr Platz, Tische werden zusammengerückt, die Protagonisten treffen sich zu einer Sitzung, einer Art Gerichtsverhandlung. Es gibt länger ausschwingende Musikpassagen für das Ensemble. Wer ist der Richtige für Mirandolinas Liebe? Der Cavaliere, der Conte und der Marchese scheiden schnell aus. Ihre Wahl fällt auf den Hoteldiener, den ruhigen, bescheidenen und hilfsbereiten Fabricio. Ganz am Ende hebt sich der Eiserne Vorhang. Statt der Enge nun die Weite und Leere der großen Bühne: Ein Versprechen für die Zukunft?